Das Leben ist zu kurz für nur ein Projekt
Pyramidenbauer, Motorradreparateur, Parkettretter, Zahnarzt: Freizeit kennt Harald nicht. Sein Leben gehört seinen Projekten.
Harald Geiling, 62, steht zwischen Gussrädern, Werkbänken und Messuhren in seiner Werkstatt für verunglückte Motorräder. In Jeans und einer blauen, von Schmutz und Öl schwarz gefleckten Jacke hantiert er an der Rahmenrichtbank. Darin steckt ein Motorradrahmen. Durch einen Auffahrunfall ist er um 22 Millimeter gestaucht, das hat den Lenkkopfwinkel des Rahmens verändert, und das wiederum sorgt jetzt dafür, dass das Vorderrad am Kühler schleift. Kann so nicht bleiben, muss wieder gestreckt werden. Harald fährt die Rahmenrichtbank hoch: „Ich finde Reparaturen absolut geil, vor allem, wenn andere sagen: Das geht nicht. Das ist das Allerschönste.“
Harald Geiling
Warum er das alles selbst gemacht hat? Er kann einfach nicht anders: „Wenn ich sonntags die Zeitung gelesen habe, wird mir schnell langweilig“, sagt er, „dann muss ich Rennrad fahren. Oder was bauen.“ Er zeigt einen Plan, auf dem er mit dem Zirkel Kreise um ein Rechteck gezogen hat. Das Rechteck ist sein neues Motorradzentrum. Es soll gegenüber dem jetzigen Motorradhaus entstehen. Die Kreise zeigen, wie weit ein Kran reichen würde und wo er stehen müsste. Noch hat er keine Baugenehmigung.
Harald Geiling
Richtig auf die Nase gefallen ist Harald noch nie, wenn er was gebaut hat. Sein Gefühl hat ihn immer rechtzeitig gewarnt. Zum Beispiel beim Bau der Pyramide. Ein Vermessungsbüro hatte die Orte der Punktfundamente definiert, auf denen die Stützen der Pyramide gesetzt werden sollten. Als Harald und Wiktor die Hälfte der Fundamente ausgehoben hatten, kam Harald auf die Idee, mal nachzumessen, ob sie auch richtig platziert sind. Ergebnis: waren sie nicht. So war die Grundfläche der Pyramide nicht quadratisch, sondern ähnelte eher einem Parallelogramm. „Gott sei Dank ist kein Schaden entstanden, weil ich es so früh gemerkt habe“, sagt Harald.
Schon als Kind hat er Dinge gebaut. Mit sechs ein Krocketspiel samt Schlägern, Kugeln und Toren aus Draht. Mit acht richtet er sich eine Werkstatt ein, die Regale baut er aus Sperrmüllholz. Mit 15 kauft er sich von seinem Taschengeld ein Schweißgerät und schraubt an seinem Moped. „Ich habe schon immer viel Geld in Werkzeug investiert und es wenn nötig weiterentwickelt“, sagt Harald. Und so hält er es noch heute. Kriegt er ein Motorrad mit noch nie da gewesenem Defekt rein, dann baut er eben Spezialwerkzeug, um es zu reparieren.
Harald Geiling
Dann klingelt sein Telefon. Sein Brandschutzingenieur ruft an, es geht um einen Umbau in der Pyramide. Harald spricht eine halbe Stunde mit ihm und ist danach genervt: „Das Bauen ist ganz leicht. Manchmal dauert es nur etwas, bis man sich mit der Bauverwaltung einig ist. Aber auch bei dem neuen Motorradzentrum wird das klappen.“ Bis dahin oder nebenbei renoviert er für seinen Sohn und dessen WG eine Wohnung in der Mainzer Innenstadt. „Am besten ist es, immer zwei bis drei Dinge gleichzeitig zu machen“, sagt er. „Das Leben ist zu kurz für nur ein Projekt.“
Text: Katrin Hummel I Fotos: Thomas Pirot