Das Wikingerschiff
Jahrelang hat er Holz gesammelt, seit sieben Jahren arbeitet Stefan Sondermann an der Verwirklichung seines Lebenstraums: ein riesiges Wikingerschiff, nach historischen Vorlagen gefertigt. Das handwerkliche Können: selbst angeeignet.
Stefan Sondermann hat sein Ziel klar vor Augen. Ein großes Ziel. 19 Meter lang. Ein Wikingerschiff. Genauer: das Gokstad-Schiff aus dem 9. Jahrhundert. Das sah er als Neunjähriger zum ersten Mal in einem Buch. Er baute es nach – aus rund 5000 Streichhölzern. Und wusste: „Das bau ich mal in echt.“
Knapp 40 Jahre später war es so weit: Er startete mit dem Nachbau des Gokstad-Schiffs. Die Baupläne dafür fand er im Netz. Rechnete sie maßstabsgetreu auf 19 Meter Länge runter, damit das Schiff in seine Werkstatt – eine 21 Meter lange Scheune – passt.
2005 mietete er sich die Scheune im bayerischen Teisendorf im Berchtesgadener Land und fing an Holz zu sammeln. Wurden irgendwo Eichen gefällt, war er zur Stelle. Hat sich die besten Stücke rausgesucht. „Einmal kam ich mit 1,2 Tonnen Holz zurück“, erinnert er sich. Für die Planken braucht er bestimmte Hölzer: lang, mit stehenden Jahresringen: „Solche Planken verziehen sich nicht, sind besonders stabil. Im Schiffsbau ein Muss.“ Entlang der Wände und hoch bis unters Dach stapeln sich verschieden breite Bretter, Holzreste aus Abrisshäusern und Stämme unterschiedlicher Hölzer. Sogar unter der Decke hängen Planken und Bretter, hochgehievt mit Flaschenzügen.
Wenn er nicht gerade als Markisenbauer unterwegs ist, arbeitet er in jeder freien Minute an seinem Wikingerschiff, mitunter schon mal acht bis zehn Stunden am Stück. Weit ist der Weg in die Werkstatt nicht: Er wohnt in einem kleinen Nebenraum. Ein Bett, ein Schrank, ein Schreibtisch auf knapp neun Quadratmetern. In der Scheune, keine anderthalb Meter neben dem Schiffsrohbau, dient eine Platte auf Böcken mit Wasserkocher und Herdplatte als Küche.
Es gibt keinen Tag, an dem ich sage: Ich hab keinen Bock mehr.“
Stefan Sondermann
Stefan hat sein Leben dem Handwerk gewidmet. Hat zunächst Maurer gelernt, als Bautechniker gearbeitet, dann in Aachen Architektur studiert. Das Arbeiten mit Holz hat er sich selbst beigebracht. Ein Handwerker aus Leidenschaft. Hat viel gelesen, viel ausprobiert. Etwa wie man 36 Millimeter dicke Eichenplanken dämpfen muss, um sie für die Schiffswand kurvig in Form zu bringen.
Das Schiff ist alles für ihn: „Es gibt keinen Tag, an dem ich sage: ,Ich hab keinen Bock mehr.‘“ Auch wenn mal was nicht klappt, empfindet er das nicht als Rückschlag. Sondern als Zeichen, einen anderen Weg einzuschlagen: etwas anderes ausprobieren, sich einem anderen Teil des Schiffs widmen. Er ist da pragmatisch.
Ich sehe mich nicht als denjenigen, der das Schiff baut, sondern als den, durch den das Schiff gebaut wird.“
Stefan Sondermann
Und vielleicht auch ein bisschen besessen, um so etwas allein durchzuziehen. So lange am Ball zu bleiben. Planken dämpfen, Löcher bohren, Schrauben eindrehen, Ornamente schnitzen, Planken verlegen, Zierprofile hobeln, die Ruderpinne fertigen – das alles macht er selbst. Nur gelegentlich hat Stefan Hilfe. Ein Freund geht ihm zur Hand, um die schweren Planken zu stemmen und an der Bootswand anzubringen. Ein Schreiner vor Ort sägt ihm große Teile in Form. Den 13,80 Meter langen Kiel aus Edelstahl hat er selbst geschweißt. Das Erste, was er für seinen Schiffsbau gemacht hat – sozusagen das Fundament. Das Original hat einen Holzkiel, Stefan nahm sich die Freiheit und wählte ein anderes Material. Das Schiff scheint vorzugeben, was er tun muss: „Ich sehe mich nicht als denjenigen, der das Schiff baut, sondern als den, durch den das Schiff gebaut wird.“
Noch in diesem Jahr sollen die Seitenwände fertig sein. Die Planken fürs Deck hat er schon auf Länge geschnitten. Für die Seitenwände müssen noch einige Teile gedämpft werden, den sogenannten Steam-Kasten dafür hat er selbst gebaut, er steht derzeit noch auf Deck. Die Planken werden darin mit heißem Wasserdampf so bearbeitet, dass sie biegsam werden und sich der runden Schiffsform anpassen. Der Mast, aus einem Lärchenstamm gemacht, ist ebenfalls fertig. Genauso wie der Drachenkopf für den Bug. Die Verzierungen, teils originalgetreue Wikingermotive, teils selbst kreierte Schnitzerei, liegen auch schon fertig in der Scheune. Stefan hat sie aus Altholz gefertigt, das er aus abrissreifen Bauernhäusern rettete. Alte Dielen, Türrahmen. Einige Holzteile sind 150 Jahre alt.
Stefan erzählt stolz von den vielen kleinen Stücken, die irgendwann das große Ganze ergeben. In rund zwei Jahren, so sein Plan, ist „sein“ Schiff – das betont er gern – fertig. So einfach aus der Scheune bekommt er es allerdings nicht. Dafür muss er das Wikingerschiff wieder auseinanderbauen, alles streichen, und ein Sattelschlepper bringt die Einzelteile ans Mittelmeer. Auf Kreta will er das Schiff mithilfe von Jugendlichen wieder zusammensetzen und zu Wasser lassen. Anders leben will er nicht: „Was will ich denn mehr?“, fragt er. Schiffsbau ist für Stefan nicht Mittel zum Zweck. Er ist sein Lebenssinn. Er ist glücklich, sein Schiff zu bauen und irgendwann zu Wasser zu lassen. Segeln kann er nicht, fürs Erste reiche ihm ein Kapitän, sagt er. Den Segelschein mache er später: „Das Wichtigste ist es, das Schiff fertig zu bauen. Mein Schiff.“
Text: Catharina König | Fotos: Stefan Hobmaier