Der Gemüse-Gigant
Felsengroße Kohlköpfe, neun Kilo schwere Gurken: Im Garten von Phillip Vowles ist alles ein paar Nummern größer. Wir werfen einen Blick hinter den Holzzaun.
Rückblende: Südwales, Ende der 50er Jahre.
Phillip sitzt am Esstisch. Mit Vater, Mutter und 14 Geschwistern. Und vor leeren Tellern. Obwohl sein Vater Tag für Tag im Bergbau schuftet, ernähren kann er seine Großfamilie kaum. Fleisch gibt es nur, wenn er einen Hasen erwischt. Meist kommt aber Bread Pudding auf den Tisch: Ein Auflauf aus trockenen Brotresten und Milch. Um besser über die Runden zu kommen, beginnt der Vater damit, selbst Gemüse anzubauen. Und Phillip lernt: Eine gute Ernte macht das Leben leichter.
Mit 14 verlässt er die Schule und heuert bei einem Bauern an. Dort lernt er Landwirtschaft: Pflanzen, hegen, pflegen, ernten. Und das Ganze von vorn. Als der Bauernhof den Besitzer wechselt, werden alle Angestellten entlassen: „Ich hatte keinen Führerschein. Und kann bis heute nicht gut schreiben, ich habe ja noch als Kind die Schule verlassen. Was hätte ich anderes tun sollen als gärtnern?“, erinnert sich Phillip. Also macht er sich selbständig als Gärtner. Und wird Mitglied, später Vorsitzender des örtlichen Gärtnervereins.
Bei der jährlichen Leistungsschau präsentieren Bauern besonders groß geratenes Gemüse. „Das Publikum war davon begeistert. Da dachte ich: Lass uns einen Wettbewerb daraus machen.” Es versteht sich von selbst, dass er einer der ersten Teilnehmer war. Phillip beginnt selbst mit der Zucht.
Phillip Vowles
Eine seiner Gurken brachte ihm vor 20 Jahren einen Eintrag ins Guinessbuch der Rekorde. Nun hofft Phillip, dass er auch mit einem XXL-Kohl einen Weltrekord erreicht. Die BBC lädt ihn regelmäßig in TV-Shows ein, sogar CNN schickte kürzlich aus New York ein Filmteam. Und so stolz ihn diese Aufmerksamkeit auch macht, es ist nicht der Grund für sein Tun: „Mein Gemüse ist zum Essen da. Nicht zum Anschauen. Wer in seinem Leben schon einmal Hunger gelitten hat, weiß, dass Lebensmittel keine Dekoration sind.“
Phillip Vowles
Phillip hat 10 Enkelkinder – die Vowles sind heute wieder eine Großfamilie. Jedes Jahr im Herbst treffen sich alle zu einem Erntedankfest. Dann sitzen sie an einem langen Tisch im Schrebergarten. Vor mehr als vollen Tellern. Hier wird keiner hungrig aufstehen, dafür hat Phillip gesorgt. Und wenn seine Enkel mit großen Augen über sein Riesengemüse staunen, wenn sie sich lachend in den ausgehöhlten XXL-Kürbissen verstecken – dann weiß Phillip: Er erntet, was er sät.
Text: Reinhard Keck | Fotos: Laura Huhta