Die Sache mit den Hufeisen begann mit Rainers Frau. „Sie wollte etwas Hübsches für ihr Hortensienbeet haben, etwas Dekoratives“, sagt Rainer Franken. „Aber irgendwas aus altem Blech zusammenzuschweißen, das war mir einfach zu langweilig.“ Was Handfestes soll es sein, etwas mit Bedeutung. Was aus Hufeisen. Ein simples Material, jedes Einzelteil nicht größer als eine Hand. Rainer fängt an, mit ausrangierten Hufeisen zu hantieren. Zuerst schweißt er daraus Kugeln, dann Würfel, später Stehtische und Barhocker. Schönes Geschenk – zum Geburtstag oder zur Hochzeit. Alles Gute. Viel Glück. Dann gehen die Gäule mit Rainer durch. Er baut Springpferde, Dressurpferde, lebensgroß und mehrere Hundert Hufeisen schwer. Seine Skulpturen haben die Vorderhufe angezogen, traben, galoppieren, setzen zum Sprung an, sind nicht zu bremsen, wie ihr Erbauer.

Ein Springpferd aus Hufeisen im Kornfeld: Auch das schuf Rainer.
Sprung ins Kornfeld: Das Springpferd hat Rainer gebaut.

Eigentlich bewirtschaftet Rainer, 45, breite Schultern, karg mit Worten, einen kleinen Bauernhof in Keppeln, einem Ortsteil von Uedem an der nordwestlichsten Spitze von Nordrhein-Westfalen. 2008 hat er den Betrieb von seinen Eltern übernommen, 80 Kühe hat er, sein Alltag besteht aus Viehzucht und Milchwirtschaft. Mit Kunst hat Rainer eigentlich nicht viel am Hut. Über das „Dekorative“ fürs Beet, das seine Frau sich einst wünschte, ist er längst hinaus. Was kann nach den Pferden kommen? „Da geht noch mehr“, sagte er sich. Und hat die Idee: Ein Traktor soll’s werden, in Originalgröße. Ist klar. Vorbild ist ein Fendt 718 Vario: leistungsstark, zuverlässig, mit Kultstatus. Und jetzt steht der Trecker auf der Wiese von Rainers Grundstück, zusammengeschweißt aus alten Hufeisen. „Der reine Wahnsinn“, sagt Rainer und lacht.

Sägen und Schweißen ist Stephans Job.
Sägen und Schweißen ist Stephans Job.

Mit über zweieinhalb Meter Breite, drei Meter Höhe und fast fünf Meter Länge ist so ein Trecker aber eine ganz schöne Herausforderung. „Alleine hätte ich das nie geschafft“, sagt Rainer. Ende 2019 bittet er deshalb seinen Freund Stephan Hünting um Hilfe. Stephan, 47, ist Ingenieur. Er arbeitet bei einem Landmaschinenhersteller, ist nebenbei auch Landwirt und ein großer Fan des Fendt 718. Auf seinem Hof hat er einen. Perfekte Vorlage.

Das Material für ihren Nachbau bekommen die beiden von einem Hufschmied, einem Freund, der zwei Dörfer weiter wohnt. Er sammelt für Rainer schon länger abgenutzte Beschläge, die er Pferden von den Füßen stemmt.

Tonnenweise Altmetall werden im Januar 2020 mit dem Hänger abgeholt und in die Garage von Rainer gebracht. Zuerst sortieren sie die unbrauchbaren Hufeisen aus Aluminium aus. Die aus Eisen befreien sie von Staub, Dreck und Pferdemist, damit die Schweißnähte später auch richtig greifen, und dann sortieren sie sie nach Größen. Bei vielen Hufeisen müssen sie noch die rostigen Nägel ziehen. Das alles dauert, manchmal bis zu zwei Minuten pro Stück – eine Geduldsprobe.

Erst die Räder, dann die Achsen: Der Hufeisen Fendt entsteht in der Werkstattgarage.
Erst die Räder, dann die Achsen: Der Hufeisen-Fendt entsteht.

Dann geht es richtig los. Rainer spannt die Hufeisen in den Schraubstock, legt sie auf den Amboss, hämmert sie kalt in die richtige Form, flext überflüssige Stege ab.

Glühendes Hufeisen im Schraubstock.
Glühendes Hufeisen im Schraubstock. Rainer hämmert sie in die richtige Form.

Danach schweißt Stephan die Hufeisen Stück für Stück aneinander. Funken fliegen. Sägen kreischen. Einen Bauplan gibt es nicht. Sie haben vorher nur grob Stephans Fendt 718 mit einem Zollstock ausgemessen: die Maße, die Proportionen, die Position der Teile. „Der Rest lief frei nach Schnauze, Pi mal Daumen“, sagt Rainer. „Jedes Teil kam dahin, wo es gerade passte.“

Handarbeit: Stephan schweißt die Hufeisen Stück für Stück aneinander.
Stephan schweißt die Hufeisen Stück für Stück aneinander.

Nach und nach wächst der Traktor. Zuerst entstehen die Räder, dann die Achsen, die dann miteinander verbunden werden. Damit alles auch schön symmetrisch ist, spannt Stephan ein blaues Band von vorne nach hinten. An diesem arbeitet er sich entlang, schweißt Eisen an Eisen, erst links, dann rechts, immer wieder. Mehrere Tausend Hufeisen werden auf diese Art verarbeitet. „Wie viele genau, das verraten wir nicht. Beim nächsten Schützenfest wollen wir daraus ein Gewinnspiel machen“, sagt Rainer. Nur so viel verraten die beiden Freunde: Die Zahl bewege sich im mittleren vierstelligen Bereich.

Ein blaues Band, gespannt von vorn nach hinten, sorgt für Symmetrie: Kumpel Stephan hat es gespannt.
Blaues Band der Symmetrie: Kumpel Stephan hat es gespannt.

Über 1000 Stunden stecken Rainer und Stephan in ihr Projekt. Viele Tage, einige Nächte. Feierabende und Wochenenden. Oft heißt das: lange Arme und müde Knochen. „Wenn man sieht, was alles entstehen kann aus Schrott, ist die ganze Anstrengung vergessen“, sagt Rainer. „Es ging uns darum, dem Original so nah wie möglich zu kommen“, ergänzt Stephan. Eine ganz schöne Herausforderung bei einem Material, das nicht gerade flexibel ist. „Manche Eisen mussten dreimal, viermal, fünfmal unter den Hammer, bis alle Ecken und Rundungen passten“, sagt Rainer. Liebe zum Detail eben. Man sieht das an den Spiegeln und Leuchten, am Kindersitz und Lenkrad, dem Auspuff, dem Tankdeckel oder den Pedalen für Kupplung, Bremse und Gas. Alle wurden aus Hufeisen oder Teilen davon gemacht, alle einzeln, später verschweißt.

Seit Weihnachten 2020 steht das Kunstwerk auf der Wiese in Keppeln, direkt an der Klever Straße. Die Sache hat sich rumgesprochen. Menschen aus ganz Nordrhein-Westfalen kommen, um sich das Meisterwerk anzusehen, manche sogar von weiter weg. In den langen, dunklen Nächten vor Silvester leuchtete der Hufeisentrecker hell auf, angestrahlt von grünen Lampen. Eine Schönheit, aus Schrott gemacht.

Weihnachtsbeleuchtung 2020: Rainers Trecker erstrahlt grün.
Weihnachtsbeleuchtung 2020: Rainers Trecker erstrahlt.

Text: Laslo Seyda | Fotos: Rainer Franken