Die Radlretter
Die Münchner Radlretter reparieren alte Fahrräder. Aber nicht im klassischen Sinn. Sie verstehen sich als Auffangstation für Räder und Radteile, die nicht mehr benutzt werden, und geben ihnen ein neues Leben.
Heidi und Horand Thönges versuchen schon seit Langem, keinen Müll zu produzieren, nachhaltig zu leben. Anfang 2017 gehen sie noch einen Schritt weiter: „Wir haben uns entschieden, unseren Lebensstil zum Beruf zu machen, um für uns alle die Welt ein Stück weit mehr von Müll zu befreien“, erzählt Heidi Thönges. Das war die Geburtsstunde der Radlretterei. Seitdem restaurieren die beiden gespendete Fahrräder, oft echte Ruinen, und verkaufen sie weiter.
Momentan passiert das alles noch in ihrem Wohnzimmer im Münchner Westend, bei gutem Wetter auch auf dem Weg vor dem Haus. Auf den Fahrrad-Montageständern klemmt immer schon das nächste Rad und wartet auf sein neues Leben. Zwei Kommoden dienen als Werkzeug- und Zubehörlager.
Unsere Devise: Retten, was das Zeug hält!“
Heidi Thönges
Jene Räder, die nicht mehr zu retten sind, dienen als Ersatzteillager. „Unser Grundgedanke ist es, dem Mainstream des schnellen Kaufens von billigen Produkten und der Wegwerf-Routine entgegenzuwirken“, sagt Heidi Thönges, „jedes Rad von uns ist ein Zeichen für den bewussten Umgang mit wertvollen Ressourcen.“
Wegwerfen? Gilt nicht
Die Radlretterei ist im Kleinen, was die Thönges’ sich fürs große Ganze wünschen: Sie soll als „kleines Rädchen zu einer besseren ökologischen und sozialen Umwelt“ beitragen. Die beiden versuchen, möglichst keine neuen Ersatzteile zu verwenden, sondern auf das zurückzugreifen, was bereits da ist. Nichts wird weggeworfen, alles wiederverwendet. Selbst Einzelteile, die für eine Reparatur nicht mehr zu gebrauchen sind, werden aufgehoben, um sie für andere Gegenstände zu nutzen. So werden alte Fahrradschläuche zu originellen Geldbeuteln.
Während der Arbeit lernt das Duo die Qualitäten, aber auch die Macken und den Charme jedes einzelnen Rads kennen. „Durch diesen Prozess entsteht eine enge Beziehung zu den Rädern. Am Ende bekommt jedes einen Namen und ein Etikett, auf dem seine Geschichte erzählt wird – ein Ritual, mit dem jede Reparatur oder Umgestaltung abschließt“, erklärt Heidi Thönges.
Es geht bergauf
Langfristig wollen die „Radlretter“ aber mehr: einen richtigen Laden, müllfrei und klimaneutral. „Er wird ausschließlich mit gebrauchtem und gerettetem Mobiliar und Inventar ausgestattet sein“, blickt Heidi Thönges voraus. Dort können sie dann retten und die Räder ausstellen – und natürlich verkaufen. Zum Angebot werden dann auch Einrichtungsgegenstände wie Kronleuchter aus aufpolierten Fahrradketten zählen. Die Radlretterei soll eine Anlaufstelle sein für Workshops und Events zu den Themen Upcycling und Müllvermeidung. Eine kleine vegetarische oder vegane Küche komplettiert das Projekt. Ein Laden also, der die Welt ein klein wenig besser macht.
Um das Kapital dafür zu bekommen, startete das Paar im vergangenen Jahr eine Crowdfunding-Kampagne – und erhielt so eine Starthilfe von 10.000 Euro. Nach der Eröffnung des Ladens – der Zeitpunkt steht noch nicht fest – werden 20 Prozent des Erlöses aus dem Radl-Verkauf gespendet: an ökologische und soziale Initiativen sowie nachhaltige Crowdfunding-Projekte. Das Ziel des engagierten Paars bringt Heidi Thönges auf eine knackige Kurzformel: „Retten, was das Zeug hält!“
Text: Esther Acason | Fotos: Radlretterei
Mehr zu den Machern
Gelernt haben die beiden Radlretter eigentlich etwas ganz anderes. Heidi Thönges, die sich um die Radl-Organisation und -Buchhaltung kümmert, ist studierte Kulturwissenschaftlerin, Sprachlehrerin und Hotelassistentin. Ihr Mann Horand, der Radlrestaurator, war schon Schlosser, Friseur, Masseur und Pfleger. Mit der Radlretterei fanden sie ihre Berufung. Sie verbindet, was sie leben.
Unter https://www.radlretterei.com/ halten die Radlretter alle Interessierten auf dem Laufenden.