Fantastischer Schrott
Christian Vlasak ist Fan von Fantasy-Filmen. Vor acht Jahren begann der Karosseriebauer, in seiner Freizeit Figuren wie „Iron Man“ oder das „Alien“ nachzubauen – aus Autoblechen, Zündkerzen und allem, was er sonst noch auf Schrottplätzen findet. Heute baut Vlasi Figuren frei nach Fantasie. Und die ist wild.
Vlasi wirft die Flex an, vor ihm ein Torso, eine Alien-Amazone aus Metallstangen, Schrauben, Muttern, Metallplättchen. Mit dem Kopf, dem Oberkörper und dem rechten Arm ist er schon weit gekommen. Die Hand ist erhoben, die Finger aus Schrauben haben lange, schmale Metallbohrer an den Kuppen. Es erinnert an „Edward mit den Scherenhänden“. Schwere Vierkanteisen bilden das Fundament der Figur, die „Knochen“. Für die Arme hat er ein Gitter aus Metalldrähten geschweißt, die die Konturen ergeben. Heute ist der linke Arm dran. Vlasi nimmt eine runde Unterlegscheibe aus Metall, klemmt sie in die Schraubzwinge. Biegt sie. Passt sie an den Oberarm an. Nimmt die nächste.
Er klappt das Visier des Schweißhelms runter, hält die Unterlegscheiben ans Drahtgitter, greift zum Schweißgerät. Kurzes Aufflammen, sicher setzt er die Punkte. Wieder ein Stück Haut geschafft. Dann nimmt Vlasi die Flex. Schutzbrille auf, Flex an, Kreischen, Funkenflug, Kontrollblick, noch mal Funken. Ein paar der Unterlegscheiben passten nicht hundertprozentig. Er nimmt die Schutzbrille ab: „Krach, Dreck, Lärm, dazu Musik – andere finden das vielleicht nervig, aber ich kann da super entspannen. Drei, vier Stunden nach einem nervigen Tag. Dann bin ich ordentlich ausgepowert. Das ist genau mein Ding.“
Eigentlich ist Christian Vlasak, wie Vlasi mit vollem Namen heißt, Karosseriebauer bei einem Autohaus in Münster-Hiltrup. Tagsüber. Abends und am Wochenende aber ist er „Vlasibautwas“, so steht es in der Halle, so steht es auch hinten auf seinem kleinen Sportwagen. Als „Vlasibautwas“ ist er ein „Scrap Metal Artist“. Einer, der aus Schrott fantastische Wesen erschafft. Hier in seiner Werkstatt macht er das, am Rande von Everswinkel bei Münster. Etwa 200 Quadratmeter innerhalb einer Riesenhalle hat er gemietet, er teilt sich den Raum mit einem Freund.
Neben einem alten, halb hergerichteten Motorrad, an dem der Freund gerade schraubt, und allerhand Baumaterialien stehen dort eine große Metallgehrungssäge, eine rote Sandstrahlkabine, ein großer Kompressor, auch eine uralte Standbohrmaschine „Made in USSR“, die er mal für 250 Euro einem Bauern abgekauft hat. „Die bringt 4 kW Leistung. Damit kann man auch einen Panzer durchbohren“, sagt er. Wenn Vlasi doch mal, was selten vorkommt, eine seiner Fantasy-Figuren verkauft, dann investiert er das Geld gleich in neue Maschinen. Denn jede neue Figur, jede Idee bringt neue Herausforderungen mit sich.
Vlasi war schon immer Fantasy-Fan, er liebt die Filme und Geschichten, den ganzen Look von Aliens und Transformern, von Superhelden und Fabelwesen. Mitten in der Halle hockt ein riesiger Drache auf einem Hügel aus Beton, eine halbe Tonne schwer. Direkt neben der Schiebetür am Eingang steht der Kopf der „Alien“-Queen auf einem Regal und am Fenster, auf einer Werkbank, der obere Teil von „Iron Man“, rot glänzend, perfekt lackiert. Auch eine „Batman“-Figur gibt es, allein 500 Muttern hat Vlasi bei ihr verschweißt. Drache und „Alien“ bestehen, wenn man näher rangeht, vor allem aus Schrauben, Zündkerzen, Antriebsketten, Zahnrädern, Muttern und allem, was Getriebe, Kupplungen oder Motoren sonst so hergeben. „Für den ,Iron Man‘ habe ich 13 Bleche verschweißt, geschnitten aus Motorhauben und Autotüren“, erzählt Vlasi. Wenn man den Helm öffnet, sieht man auch die Schweißnähte. Sehr viele Nähte. „320 Arbeitsstunden waren das“, sagt Vlasi. Er hatte sogar noch überlegt, den Helm von innen zu polstern. Hat er dann aber nicht. „Wenn ich das gemacht hätte, dann setzt den Helm am Ende noch jemand auf, und er geht kaputt. Der war teuer.“ Die Materialkosten für die Glanzlackierung allein betrugen 700 Euro.
Mit einem „Predator“-Helm hat alles angefangen. Das war 2013. Da war Vlasi in Dortmund auf einer Messe für Fantasy-Fans. Sah die echsenartige Maske des „Predator“, fand sie supercool. Vlasi war Fan von den „Alien vs Predator“–Filmen. 200 Euro sollte der Helm kosten. „Das war mir zu teuer. Da dachte ich: Ich mach mir selbst einen.“ Machte er auch, nach Feierabend auf der Arbeit. Zu dem Helm kam noch eine Rüstung. Dann baute er den Kopf der „Alien“-Queen aus dem Sci-Fi-Klassiker „Alien“ nach – aus Zündkerzen, Ketten, Muttern, dem Schrott, der auf der Arbeit abfiel. Weil der „Alien“-Kopf so gut wurde, traute er sich an das erste richtig große Projekt: eine komplette „Alien“-Königin. Die ganze Figur 2,40 Meter hoch, mit Sockel sogar drei Meter. Und irre schwer. Sie steht heute bei einem seiner Kumpel.
„Ich kann gut mit Metall umgehen. Und durch meine Figuren kann ich nicht nur meine Fantasien umsetzen, sondern lerne auch handwerklich ständig etwas dazu.“ Edelstahlschweißen etwa, das war für ihn völlig neu. „Du hast den Brenner in der linken Hand und führst den Zusatz mit der rechten Hand langsam zu. Ich musste die Fingerfertigkeit dazu erst einmal entwickeln. Normal hat man links ein Schlauchpaket, da kommt der Zusatz direkt raus, und der Lichtbogen zündet vorne. Bei Edelstahl braucht man beide Hände.“ Oder er lernte Grundlagen der Statik kennen, erklärt von einem Profi. Beides kam durch die Engelsskulptur, auf die Vlasi schauen kann, wenn er von seiner Werkstatt aus durch das kleine Fenster der Halle übers Feld schaut. Der Engel steht an der Ortseinfahrt, anderthalb Jahre hat er an der Auftragsarbeit für den Kulturkreis der kleinen Stadt gearbeitet. Allein 5,4 Millimeter dick musste das Edelstahlrohr sein, mit dem der Engel im Boden verankert ist, das hat ihm der Statiker vorgerechnet. „5,4 Millimeter. Wahnsinn! Da bin ich fast vom Baum gefallen“, erzählt er. Am 1. Oktober 2021 wurde der Engel eingeweiht. Eine Figur mit großen Flügeln, die wollte er schon immer mal bauen, und einen Hauch Fantasy hat der weibliche Engel auch.
„Jemand hat kürzlich zu mir gesagt: Der Engel ist schön geworden, aber das bist nicht wirklich du. Du musst dich jetzt mal wieder austoben“, erzählt Vlasi. Macht er nun auch: frei nach seinen eigenen Vorstellungen arbeiten. Vor drei Wochen hat er mit der Amazone angefangen. „Wenn es mich packt, dann gibt es kein Halten mehr.“ Ein konkretes Vorbild hat die Figur diesmal gar nicht. Muss auch nicht mehr unbedingt. Vlasi will den Ideen freien Lauf lassen. „Es kommt bei den Figuren immer darauf an, was mir gerade einfällt. Wozu ich Lust habe. Und was ich an Material habe.“ Der Rucksack der Amazone etwa war mal eine leere LPG-Gasflasche aus einem alten Auto. Diesmal musste Vlasi aber nicht losziehen auf die Schrottplätze der Umgebung – vom Engel hat er noch Material satt. Stand jetzt. Denn Vlasi nimmt es sehr genau.
„Bei mir muss alles perfekt aussehen. Wenn ich eine Kurbelwelle von einem bestimmten Motor rechts bei einer Figur verbaue, dann klappere ich so lange die Schrottplätze ab, bis ich auch eine Welle aus dem gleichen Motor für die linke Seite habe.“ Vor sich, an der Werkbank, hat er grobe Skizzen von Figuren mit Magneten angepinnt, an der Wand hängen Fotos und Kopien von Fantasy-Figuren, auf dem Schrank hinter Vlasi stehen eine Hand und eine Figur aus Holz. Die helfen, Glieder von Armen und Fingern richtig zu entwerfen.
Die Halle selbst gehört zu einem Bauernhof, ist schön abgeschieden. Hier kann Vlasi auch spätabends und am Wochenende richtig Krach machen. In der Werkstatt stehen und einfach machen: hämmern, flexen, schweißen und dabei Musik hören. Das ist für Vlasi pures Glück. Seit knapp sechs Jahren hat er die Werkstatt. Für das Schweißgerät hat er sein DJ-Equipment verkauft. Musik war vorher sein Ding, noch wichtiger wurde das Schweißen. Oben auf dem Dach des Eisengestells, das den Kern seiner Werkstatt bildet, liegen aber noch ein paar fette Boxen.
Ein wenig wundert es ihn schon, aber im Grunde genießt es Vlasi, dass seine Leidenschaft ihm auf einmal Aufmerksamkeit bringt. Nicht nur von der Lokalzeitung. Auf Anraten eines Kollegen hat er irgendwann dann doch eine Seite bei Instagram und eine bei Facebook gemacht. Lädt da nun regelmäßig Bilder seiner Projekte hoch, bekommt Kommentare, Tipps, Likes – und viel Resonanz. Titus Dittmann etwa, der Pate der deutschen Skaterszene, wohnhaft in Münster, lud ihn zu sich nach Hause ein und kaufte ihm bei einem Bier im Wohnzimmer ein Skateboard aus Metallteilen ab, das Vlasi gemacht hatte. Oder Alan Williams, einer der ersten Metallschrottkünstler, die Vlasi bewunderte, er likt und kommentiert nun regelmäßig Vlasis Fotos. „Eigentlich bin ich mein eigener Maßstab und schaue nicht so auf andere – aber Williams war immer einer, bei dem ich dachte: Da will ich mal hinkommen.“ Ist er – und einfach nur, weil er sich und seine Fantasie austoben will. Mit einem Haufen Schrott.
Text: Volker Corsten | Fotos: Christian Protte