Heimwerker im Weltall
In Kopenhagen schrauben Heimwerker an einer verrückten Vision: Die Suborbitals wollen in den nächsten zehn Jahren einen Menschen in einer Rakete in das erdnahe Weltall schießen und heil auf die Erde zurückbringen. Wir haben sie in ihrer Werkstatthalle besucht.
Aufregung, Freude, Erleichterung – das alles kommt nun hoch. „Nexø II“ ist gestartet, senkrecht rauscht sie nach oben, zieht einen weißen Strich über den trüben Himmel und taucht schließlich in die Wolkendecke ein. Gibt’s was Schöneres, als Raketen Richtung Weltall zu schießen? Nicht in diesem Moment, nicht für Bianca Turneanu. „Einfach überwältigend“, sagt sie. Und grinst und schnieft.
Bianca, 27, erinnert sich genau an den 4. August 2018 – der Tag, an dem die Gefühle mit ihr durchgingen. Von einer schwimmenden Plattform in der Ostsee vor der Insel Bornholm aus startete „Nexø II“, eine Testrakete der Copenhagen Suborbitals. Die Copenhagen Suborbitals, das sind 50 Heimwerker, die sich zu einem Team von Hobby-Raumtechnikern zusammengeschlossen haben. An diesem Tag erlebten sie ihren bislang erfolgreichsten Raketenstart. Und nicht nur Bianca kamen danach die Freudentränen.
Das Ziel der Suborbitals: in den nächsten zehn Jahren einen Menschen ins erdnahe Weltall bringen – und anschließend natürlich wieder heil zurückholen. Mit einer selbst gebauten Rakete und Kapsel. Ihr Motto ist im Prinzip dasselbe, das schon die NASA anspornte: „Wir tun all das nicht, weil es einfach ist, sondern gerade weil es schwierig ist.“ Das erklärte John F. Kennedy 1961, als er ankündigte, dass demnächst ein Amerikaner den Mond betreten werde. Genau das treibt auch Bianca und ihre Mitstreiter an.
An diesem Wintertag steht Bianca an einer Stanzzange in einer Lagerhalle im Hafen von Kopenhagen, eingepackt in einen isolierten Arbeitsoverall. In der Werkstatt der Suborbitals, einer alten Schiffswerft, stapeln sich neben Werkbänken Gerümpel und Metallschrott, alte Motoren, Computermonitore, Kabel, Werkzeug. Kälte kriecht in jeden Winkel der Halle und in die Körper von einem Dutzend Schrauber – so viele fräsen, schleifen, löten, feilen an diesem Sonntag an ihrem Raketentraum.
Handwerklich habe ich hier mehr gelernt als an der Uni."
Bianca Turneanu
Für ein wenig Wärme sorgt nur ein schwacher Heizstrahler – und natürlich die Erinnerung an den erfolgreichen Raketenstart im Sommer. „Nexø II“ schoss 6500 Meter in den Himmel. Eigentlich hätte die Rakete 8000 Meter hoch fliegen sollen – aber hey: Sie kam unbeschadet auf die Erde zurück. Der Fallschirm zündete wie geplant, sanft plumpste die Konstruktion ins Meer. Wäre ein Mensch darin gewesen, er hätte keinen Kratzer abbekommen – na ja, fast keinen.
„Wir wissen jetzt, dass die Raummission technisch möglich ist“, sagt Bianca, die Netzwerktechnik entwickelt, durch die der Kontrollraum das Verhalten der Raketen beim Start analysieren kann. Statt es sich an diesem frostigen Wochenende in einer hyggeligen Wohnung gemütlich zu machen, schweißt sie Metallstützen, die in die neue Startrampe verbaut werden. Sie packt überall mit an, nicht nur wenn es um IT und Hightech geht.
Die Frau der Schaltkreise
Vor zwei Jahren heuerte Bianca Turneanu bei den Suborbitals an – weil sie deren Mission begeisterte und sie Teil dieser verrückten Geschichte sein wollte. Die aus Rumänien stammende Technikerin studierte Robotertechnik und arbeitet derzeit an ihrer Doktorarbeit.
„Handwerklich habe ich hier mehr gelernt als an der Uni“, sagt Doktorandin Bianca. Ihr Einsatz bringt ihr Anerkennung. „Mein Professor findet es super, dass ich sogar in meiner Freizeit technische Lösungen entwickle.“
Probleme, die gelöst werden wollen, gibt es genug. Tausende Komponenten müssen entwickelt werden: Triebwerke, Treibstoffpumpen, Flugleitsysteme. Komplexe Technik und Forschung steckt in der Entwicklung der Rakete. Allein die Produktion eines Tanks, der mit Flüssigsauerstoff und Ethanol betrieben werden kann, kostete unzählige Arbeitsstunden.
Jetzt arbeiten die Suborbitals am Folgemodell von „Nexø II“: einem 13 Meter hohen und 5000 Kilogramm schweren Flugkörper namens „Spica“. Darin werden eine Raumkapsel und ein Mensch Platz finden.
Neben Bianca sprühen Funken, grelles Licht blitzt auf. Thomas Pedersen ist Chef der Suborbitals, heute sägt er mit einem Plasmabrenner Stahlplatten zurecht für die Außenhülle der Rakete.
Später sitzt er im Pausenraum, beißt in eine Wurststulle und sagt: „Wenn uns ein Milliardär wie Richard Branson oder Elon Musk ein paar Millionen zustecken würde, wären wir natürlich viel weiter.“ Aber: So ist es nicht. Und das finden er und die anderen völlig okay. Stattdessen haben die Suborbitals etwa 1000 Unterstützer in aller Welt, die mit Spenden von bis zu 20 Euro im Monat das Projekt finanzieren.
Der Professor
Thomas Pedersen ist kein Mann fürs Grobe, dennoch steht er am Wochenende gern an der Plasmasäge: Unter der Woche erklärt der Professor für Reinraumtechnik den Studenten, wie sich Kleinstpartikel aus der Luft entfernen lassen. Der Akademiker ist Vorsitzender des Suborbital-Vereins.
Denn: Kreativität lässt sich nicht kaufen. Uffe Ravn, 51, Vertriebler bei einem Elektrohandel und bei den Suborbitals für Funk und Elektronik zuständig, sagt: „Jeder lernt hier von jedem, denn es gibt bei uns viele talentierte Leute, die auf irre Ideen kommen.“
Der Computer im Antrieb der „Nexo“-Rakete etwa stammt aus dem Kassenterminal einer Burger-King-Filiale, das sie ausgeschlachtet haben. Das System zur Druckregulierung benutzt Trichter einer Taucherausrüstung. In vorherigen Raketenmodellen waren in den Ventilen Bremskabel eines Schrottautos verbaut. Ein Haarföhn aus dem Supermarkt hielt sie warm.
Von sechs Testraketen, die von den Suborbitals in zehn Jahren gezündet wurden, kam die Mehrzahl schrottreif zurück. Doch jeder Rückschlag brachte die Mission voran: Mit jedem Prototyp wurden Komponenten verbessert, wurde die Technik verfeinert.
Hin und wieder kommen sogar echte NASA-Techniker zu Besuch, weil sie sich diese verrückte Truppe aus der Nähe anschauen wollen. Mit Ingenieurstudenten aus Singapur machten die Suborbitals einen Workshop. In diesem Jahr werden die Schrauber ihr Raketenmodell bei der legendären Paris Air Show präsentieren.
Die Suborbitals gibt es seit 2008, das Gründerteam ist längst nicht mehr dabei, doch inzwischen schließen sich immer mehr junge Heimwerker der Mission an, weil sie die Idee cool finden. Neben Bianca auch Sophie, eine 31-jährige Computerexpertin. Sie ist Mitglied in der Hochbegabtenvereinigung Mensa (alle Mitglieder haben einen IQ von mehr als 130), die einen Besuch bei dem Suborbitals-Projekt organisierte. Sophie kam, sah und wusste: Da will ich mitmachen. Nun erstellt sie Computermodelle, die bei der Auswertung von Materialtests helfen.
Jeder Suborbital investiert etwa 30 Stunden pro Woche in sein Raketenhobby. Das sorgt nicht selten für Ärger mit der Familie. Mads Stenfatt hat immerhin das Glück, dass er seinen Beitrag auch zu Hause leisten kann, genauer: an der Nähmaschine.
Der 40-jährige Bankkaufmann zeigt den Fallschirm, an dem „Nexø II“ zur Erde zurücktrudelte. Bald könnte er selbst an einem solchen Stück Stoff hängen. Mads will in die Raumfahrtgeschichte eingehen: Er ist der aussichtsreichste von drei Kandidaten, von denen einer in der Rakete sitzen wird, die schließlich ins All fliegen soll. Was für ihn spricht: Er ist nicht allzu groß, sollte daher in die enge Kapsel passen. Und noch wichtiger: Er kann fallschirmspringen.
Schon als ich ganz klein war, wollte ich Raumfahrer sein."
Mads Stenfatt
Mads ist ein netter, untersetzter Typ mit schlauen Augen. Bei den Suborbitals ist er nun für das Nähen der Bremsschirme der Rakete zuständig.
Diese sollen Raumkapsel und Rakete (und womöglich Mads selbst) nach dem Ausflug ins All unbeschadet zurück auf die Erde bringen. Auch hier muss improvisiert werden. Auf der Suche nach reiß- und feuerfesten Textilarten ist Mads auf ein Nylon gestoßen, das auch bei Kinderschneeanzügen verwendet wird. Aktuell arbeitet er an einem System von selbstaufblasenden Schwimmflügeln, mit denen die Rakete ausgestattet werden soll – damit sie (und womöglich Mads) nach der Landung nicht im Meer untergeht.
Der Fallschirmspringer
Bankkaufmann Mads Stenfatt verlor vor einigen Jahren nach einer langen Kneipennacht eine Wette, daher musste er eine Mutprobe bestehen – und machte einen Skydiving-Kurs. Dadurch hat er gute Chancen, jener Mensch zu sein, der für die Suborbitals in der Raumkapsel sitzen wird.
Der Traum einer bemannten Raumfahrt klingt cool, lustig und romantisch. Aber jetzt mal ehrlich, Mads: Wie verrückt muss man sein, um sich a) freiwillig in einer aus Metallschrott montierten Rakete ins All schießen zu lassen und b) sein Leben der Reißfestigkeit von Kinderschneeanzügen anzuvertrauen?
„Schon als ich ganz klein war, wollte ich Raumfahrer sein“, erklärt Mads, und tatsächlich ist dabei ein Leuchten in seinen Augen zu sehen. Und dann sprudelt es aus ihm heraus: „Revolutionär“ wäre eine solche Mission, „einmalig“ und „historisch“, er würde sich fühlen „wie Christopher Kolumbus“, der Neuland erkundet.
Gelingt die Mission, wäre Dänemark nach Russland, den USA und China das vierte Land, das mit eigener Technik einen Menschen ins Weltall bringt. Und es wären ein paar Dutzend Hobbyschrauber, die das möglich gemacht hätten. Was für eine Geschichte!
Im Sommer soll der erste Test mit der neuen „Spica“-Rakete gelingen. Mads sagt: „Es werden noch sehr viele folgen, weil wir natürlich auf Nummer sicher gehen wollen – aber klar ist auch: Es ist keine Frage mehr, ob wir ins All reisen, sondern nur noch wann.“
Mads’ Frau nimmt den Astronautentraum ihres Mannes mit Humor – noch: „Sie sagt, um in die Kapsel zu passen, muss ich erst noch ein paar Kilo abnehmen“, erklärt Mads und lacht.
Doch das sollte den Plan von Mads und seinen Mitstreitern nicht gefährden. Ein paar Jahre hat er ja noch Zeit, um leichter zu werden.
Text: Reinhard Keck | Fotos: Patrick Ohligschlaeger
Auch nach den Sternen greifen?
Wer sehen möchte, ob den Copenhagen Suborbitals der bemannte Aufbruch ins Weltall gelingt, kann ihnen hier folgen.