Im Takt des Mittelalters
Feuer, Hammer, Stahl: Der Engländer Alex Pole schmiedet in seiner Werkstatt noch wie im Mittelalter. Aus Respekt vor den Ahnen seiner Zunft – und aus Liebe zur Tradition.
Stahl glüht im Feuer, leuchtet blutorange. Die Zange packt das heiße Eisen. Raus aus der Glut, ab auf den Amboss, Schlag auf Schlag. Klooong – klong, klong! Ein wuchtiger, zwei kurze. In diesem Rhythmus wird das, was mal eine Fleischgabel wird, flach geklopft wie ein Schnitzel. Funken sprühen wie aufgeputschte Glühwürmchen. Willkommen in der Werkstatt von Alex Pole. Willkommen in einem Reich aus Feuer, Schweiß und Hammerschlägen.
The Forge – zu Deutsch: die Schmiede – so schlicht heißt die Halle in Somerset, einer Grafschaft im Westen von England. Draußen grasen Schafe zwischen Apfelbäumen – der bekannte Somerset Cider wird in der Gegend gebraut. Drinnen hämmert, schleift und schmiedet Alex Pole so ziemlich alles, was Köche und Grill-Fans an Werkzeug brauchen. Er macht Messer, Zangen, Spieße, Pfannen, auch mal Fleischerhaken oder Gewürzschalen. Das Besondere: Alex arbeitet ganz traditionell, so wie die Schmiede zur Zeit von König Artus.
Alex ist ein Zwei-Meter-Hüne, breite Schultern, freundlich, gewinnendes Lächeln. Schweißperlen glänzen auf seiner Stirn. Seine Unterarme: von Brandnarben gesprenkelt. Der rechte Daumen: verformt. Er war einmal unter einem falschen Hammerschlag fast zerschmettert worden. Und einen Splitter im linken Auge konnten die Ärzte entfernen. Die Schutzbrille vergisst er seither nicht mehr.
20.000 Schläge auf den Amboss. Täglich
Schmieden ist ein harter Job. 20.000 Hammerschläge machen Alex und seine drei Mitarbeiter pro Tag. Das hat er neulich mal überschlagen. Alex arbeitet seit 25 Jahren in diesem Job. Doch er ist kein Haudrauf. Ganz im Gegenteil: ein Feingeist mit der Liebe fürs Grobe. Und Alex hat viel zu tun. „Die Leute sind verrückt nach Kochen und Grillen, das ist gut für uns“, sagt er. Sein Kollege Joe hämmert ein Küchenmesser aus Stahl. Steve schlägt den Griff einer Bratpfanne zurecht. Jimmy schleift den Griff einer Gabel.
In der Schmiede riecht es nach Rauch und Feuer – das hat sich seit dem Mittelalter nicht verändert. Alex benutzt nur rostfreien Stahl, der lässt sich gut erhitzen und formen und überlebt auch häufiges Waschen in der Spülmaschine. Das ist seinen Kunden wichtig: Es sind Restaurantbetreiber, Profi- oder ambitionierte Hobbyköche und Herzblut-Grill-Fans, die bereit sind, für Pfannen oder Grillbesteck einiges zu zahlen. Und die gleichzeitig auf kantiges und unkonventionelles Küchenwerkzeug stehen. Alex’ Produkte sind massiv und schwer. Sie passen zu hungrigen Rittern an großen Tafelrunden.
Alex ist gerade mit einer Feischgabel beschäftigt. Er hat ein Stahlrohr von der Länge eines Spazierstocks mit der Metallsäge in drei Stücke von der Größe einer langen Zigarre geschnitten. Das Feuer in der Esse entzündet er mit einem Stück Papier und ein paar trockenen Hölzern. Früher musste ein Knecht mit dem Blasebalg Luft in das glühende Steinkohlenkoks pumpen. Bei aller Traditionsliebe: Das will Alex seinen Mitarbeitern nicht zumuten. Inzwischen wird automatisch Sauerstoff in die Esse geföhnt.
Alex legt das Stahlstück in die mehr als 1000 Grad heiße Glut. Nach wenigen Minuten leuchtet das Metall wie die untergehende Sonne auf einer Südseepostkarte. Mit heftigen, gezielten Schlägen haut er die vordere Seite flach. Alex muss schnell arbeiten. Erkaltet der Stahl, lässt er sich nicht mehr gut formen. Die Herausforderung außerdem: den Stahl so akkurat zu klopfen, dass er genau die gewünschte Form bekommt. Die Kanten so fein zu hämmern, dass sie wie mit dem Lineal gezogen aussehen. Alex legt das Stahlstück an einen Keil und hämmert von hinten drauf, bis es sich durch den Keil vorne in zwei Zinken spaltet. Er muss präzise arbeiten, damit die Zinken exakt parallel stehen. Überhaupt, die Feinarbeit, das Fingerspitzengefühl und die Fähigkeit, enorme Kraft gezielt zu steuern: Das ist die große Kunst beim traditionellen Schmieden.
Zisch! Alex schreckt die noch frisch geschmiedete und noch immer glühend heiße Fleischgabel in einem Eimer mit kaltem Wasser ab.
Man musst total fokussiert sein, es ist anstrengend, man braucht Durchhaltevermögen. Am Ende wird man mit seinem eigenen, einzigartigen Werk belohnt.“
Alex Pole
Schwarzer Stahl
Dass sich Alex’ Stahl schwarz färbt, liegt an der Schwarzoxidation. Durch ein chemisches Verfahren werden die an der Oberfläche des Edelstahls enthaltenen Nickelatome bei einer Temperatur von 850 Grad oxidiert – und färben sich dunkel. Diese Schicht wird anschließend geölt und poliert. Der schönste Moment kommt ganz am Ende: Alex legt einen Metallstift an den Griff und haut sein Siegel ein. Fertig ist die Fleischgabel. Bald werden Grill-Fans mit ihr Steak aufspießen.
Alex wischt sich den Schweiß von der Stirn, setzt sich auf einen Hocker, legt den schweren Arm auf den Amboss. „Ich bin schnell gelangweilt und muss dauernd was Neues machen“, erzählt er. Alex’ Vater war Kunstsammler, seine Mutter Juwelierin. Schon als Kind schaute er seiner Mutter über die Schulter, wenn sie Ketten und Ringe fertigte. Später machte er eine Ausbildung zum Juwelier, reiste um die Welt, lebte einige Jahre in Australien. 2008 kehrte er nach London zurück und begann als Schmied zu arbeiten. Er baute Garagentore, Zäune, Türstopper. „War gut bezahlt, hat mich aber nicht erfüllt“, erinnert er sich.
Also lernte er bei einem Schmiedegroßmeister in Schweden Äxte zu schmieden: Kriegsbeile und Tomahawks – alles, was eine Klinge und einen Griff hat. „Es war ein sehr schwieriger Prozess – doch als ich den Dreh raushatte, war ich sehr stolz.“ Das Schmieden von Äxten ist für Alex die Essenz seines Handwerks. Die Axt war im Mittelalter ein Kriegswerkzeug, aber auch ein Symbol für Zivilisation. Waldarbeit, Jagd, Landwirtschaft oder Haus- und Städtebau – alles undenkbar ohne die an einem Holzgriff befestigte Klinge. „Eine schöne Axt schmieden ist für mich die größte Kunst“, sagt Alex.
Aus Respekt vor der Tradition, vor den Ahnen seiner Zunft stellt Alex seine Produkte wie im Mittelalter her. Er verzichtet so weit wie möglich auf moderne Geräte. Feuer in der Esse, Hammer in der Hand – viel mehr braucht Alex nicht. Er will den Mythos seines Berufs pflegen und wird daher niemals Massenware herstellen. Jedes Teil entsteht durch Handarbeit und ist ein Unikat. „Das Schmieden ist auch ein Akt von Ermächtigung. Man fühlt sich stark und selbstbewusst, wenn man diese harten Materialien nach seinen Vorstellungen biegen und formen kann. Das wirkt therapeutisch, gerade wenn es im Job oder zu Hause mal nicht so läuft“, sagt Alex. Darum sehen seine Produkte nicht fein aus – sondern grob, kantig, altertümlich. Und individuell.
Alex hatte es in seinen Raver-Jahren in den 90ern mit dem Feiern öfter mal übertrieben. „Das Handwerken war meine Rettung“, sagt er heute. „Für den Körper ist es nicht immer gesund, aber für den Geist. Man musst total fokussiert sein, es ist anstrengend, man brauch Durchhaltevermögen. Am Ende wird man mit seinem eigenen, einzigartigen Werk belohnt.“
Um auch anderen den Zauber des Schmiedens zu zeigen, begann er in den Nullerjahren Workshops zu organisieren und über Festivals zu touren. Dabei lernte er einen bekannten britischen Fernsehkoch kennen. Der fragte: Kannst du Grillbesteck machen? Alex sagte: kein Problem. Seitdem schmiedet er Fleischerhaken, Schaschlikspieße, Grillzangen, Schöpfkellen, Edelstahlpfannen, Bestecksets.
Obwohl es gut läuft, spürt Alex schon wieder diese Unruhe. Sind seine Bestecksets das, was früher die Garagentore waren? Gutes Business, aber ausgereizt? „Ein Tag in der Woche arbeiten wir keine Aufträge ab, sondern machen einfach, worauf wir Lust haben“, sagt Alex. So entstehen die verrücktesten Ideen: eine Gewürzschale aus Eisen, ein Mörser und Stößel aus Stahl. „Die Leute lieben das“, sagt Alex und grinst. Sein aktuell schönstes Projekt: schwarze Stahlnägel. Für die originalgetreue Restauration eines Schiffs aus dem Mittelalter.
„Metalle sind wunderbare Werkstoffe: Alles beginnt mit einem einfachen Stück. Man erhitzt es und verändert es, passt es an, formt es zurecht. Was man daraus macht, ist jedem selbst überlassen“, sagt Alex. Klingt philosophisch. Kein Wunder: Der Schmied wird in der Mythologie oft als Schöpfer bezeichnet. Als einer, der versteht, wie Leben entsteht. Und um was es im Leben geht.
Alex geht an die Schleifmaschine, poliert die Zinken der Fleischgabel. Seine Mitarbeiter hämmern. Es zischt, es raucht, Funken schlagen. Alex zeigt sein Werk. Es liegt schwer in der Hand und ist noch warm: Es fühlt sich nicht wie tote Materie an, sondern lebendig. Alex schaut zufrieden: „Schmieden ist für mich mehr als Handwerk. Es ist meine Art zu leben: Nichts bringt mir mehr Befriedigung.“
Text: Reinhard Keck | Fotos: Greg Funnell
Schmieden wie früher
Mehr Infos zu Alex’ Arbeit gibt es hier.