Ein Jahr bin ich jetzt zurück in Deutschland. Vor meiner Weltreise habe ich die meisten meiner Sachen verkauft oder verschenkt, habe mein letztes Hab und Gut auf einem Quadratmeter in einer Lagerbox verstaut. Während der Reise habe ich gemerkt: Ich brauche nicht viel, um glücklich zu sein. Andere Menschen können das schließlich auch, mit wenig Besitz leben.

Zurück in Deutschland, steht für mich – ganz im Sinne von Minimalismus-Göttin Marie Kondo – fest: Was ich besitze, soll für mich einen Wert haben, eine Geschichte erzählen. Wie eine Glaskugel, die ich selbst gemacht habe. Meine kurze Internetrecherche ergibt: Das ist kein Projekt für zu Hause, zu teuer und zu heiß. Und: Man braucht einen Profi an seiner Seite. Jemanden wie Sabine Putbrese. Sie bietet in Ulsnis auf dem platten Land in Schleswig-Holstein einen Workshop am Glasofen an.

Sabine Putbrese

„So muss es in der Hölle sein.“ Das ist mein erster Gedanke, als Sabine mit einem lauten Knarren die Tür zum Schmelzofen zur Seite schiebt. Einen kurzen Moment lang bereue ich meine Entscheidung. Innen glüht das Glas so hell, dass ich erst mal die Augen zukneifen muss. Dazu lausche ich nicht etwa einem gemütlichen Prasseln, wie ich es von Kaminöfen dänischer Ferienhäuser kenne. Nein, dieser Ofen hier brodelt. Laut und furchteinflößend. Und dazu diese unfassbare Hitze, die kaum auszuhalten ist. Sabine scheint das nicht zu kratzen, im Gegenteil. „Glasmachen ist wie Meditation“, sagt sie fröhlich, und ich bin gespannt, ob ich ihr das später glauben kann. Momentan eher nicht. Aber egal, los geht’s!

Aber halt – eine Frage habe ich noch an Sabine, bevor wir starten: „Wieso sagst du eigentlich immer ‚Glas machen‘ und nicht ‚Glas blasen‘?“ Ich dachte, ich mache einen Glasbläser-Kurs. „Der Unterschied liegt im Detail: Der Glasbläser nutzt den Bunsenbrenner, um damit kleine Gefäße und feine Deko-Elemente wie Perlen herzustellen. Der Glasmacher arbeitet vor dem Ofen und stellt große Glasprodukte wie Vasen, Kugeln oder Lampen her“, erklärt mir Sabine. Alles klar, verstanden. Also mache ich jetzt Glas.

Bevor ich richtig starten darf, stehen erst mal Trockenübungen auf dem Programm. Sabine gibt mir Stulpen aus Baumwolle für meine Arme, um sie vor der Hitze zu schützen. Und eine Pfeife in die Hand. So nennt sich das lange Stahlrohr, an dessen Ende später meine Glaskugel entsteht. Innen ist es hohl, denn auch beim Glasmachen wird geblasen. Sabine erklärt mir geduldig jeden Arbeitsschritt, lässt mich dabei die Pfeife tragen. Einfach wirkt die Arbeit nicht, ich bin gespannt. 15 Minuten, erzählt Sabine, brauche sie, um eine Glaskugel anzufertigen. Mal schauen, wie lange das bei mir dauert.

Während Sabine mir alles zeigt, brodelt das flüssige Glas im Ofen. 1200 Grad Celsius heiß. Weil es sich nicht lohnen würde, ihn über Nacht auszuschalten, läuft er bei Sabine zweimal im Jahr für jeweils ungefähr drei Wochen. Während ich vor mich hin schwitze, erzählt mir Sabine, dass das von ihr verwendete Glas ursprünglich für Autoscheinwerfer gedacht war, aber Produktionsfehler hatte. Gut für Sabine: Sie hat es dem Produzenten abgekauft und verarbeitet es jetzt weiter.

Und zwar gemeinsam mit mir. Auf einem Metalltisch verstreuen wir zerbröseltes Farbglas in Weiß und zwei Blautönen. Sie sollen meiner Glaskugel später Farbe verleihen. Kurz puste ich noch in die Pfeife, um sicherzugehen, dass sie frei von Glasresten ist. Dann darf ich mich vor den Ofen stellen.

Autorin Birte Schmidt verstreut gemeinsam mit Sabine Putbrese, Leiterin des Workshops am Glasofen, zerbröseltes Farbglas in Weiß und zwei Blautönen auf einem Metalltisch

Sabine öffnet die Tür, und ich hole das erste Mal Glas aus dem Ofen. Dabei hilft sie mir, denn wie viel ich benötige, das weiß sie nur aufgrund ihrer jahrelangen Erfahrung.

Ich drehe und drehe und drehe, während ich mit dem heißen Glas zum Metalltisch laufe. Das Drehen ist wichtig, damit das Glas in Form bleibt. Andernfalls zieht es die Schwerkraft einfach nach unten. „Und jetzt die weißen Glassplitter aufnehmen“, ruft Sabine hinter mir. Welche Glassplitter? Ich kann erst mal gar keine Farben auf dem Tisch erkennen. Durch das helle Licht im Ofen sehe ich nur noch einen grauen Schleier vor den Augen. Sabine merkt das zum Glück und sagt noch schnell: „Ganz links“.

Mit dem flüssigen Glas an der Spitze meiner Pfeife rolle ich durch die weißen Glassplitter. Nur vorne an der Spitze, denn all das Glas, das auf der Pfeife ist, wird später abgeschlagen. Allzu viel Zeit habe ich nicht, denn das Glas kühlt schnell ab und muss zurück in den Ofen. Aber nicht sofort. Erst einmal lege ich die Pfeife kurz vor dem Ofen ab, damit die losen Glassplitter abfallen. Andernfalls würden sie im Ofen landen, und nach wenigen Tagen wäre das restliche Rohglas kunterbunt verfärbt. Jetzt kann ich mich ein bisschen ausruhen. Alles, was ich jetzt tun muss, ist, die Pfeife langsam und gleichmäßig zu drehen. „Beim Glasmachen muss man sich immer einen kurzen Augenblick hoch konzentrieren, danach darf man sich vor dem Ofen wieder entspannen“, sagt Sabine und fügt lachend hinzu: „Ich überlege schon, das als Achtsamkeitstraining an große Firmen zu verkaufen.“ Stimmt, auch ich komme hier beim Drehen vor dem Ofen zur Ruhe. Wenn nur die Hitze nicht wäre …

Mit dem flüssigen Glas an der Spitze der Pfeife rollt Birte durch die weißen Glassplitter

Ein bisschen gerundet ist das Glas am Ende der Pfeife bereits, trotzdem wollen wir es jetzt richtig in Form bringen. Dafür nehme ich auf der Glasmacherbank Platz. Klingt leichter, als es ist, denn ich soll den Stab mit der heißen Masse vor mich legen – ohne mich selbst oder andere dabei zu verletzen. Klappt! Ich schnappe mir den gewässerten Holzlöffel aus dem Bottich und halte ihn ans flüssige Glas, während ich weiter drehe. So bekommt das Glas eine schöne runde Form. Noch einmal muss ich das Glas im Ofen aufwärmen, dann endlich steht der Schritt an, auf den ich mich schon so gefreut habe.

Autorin Birte Schmidt legt den Stab mit der heißen Glasmasse vorsichtig auf der Glasmacherbank

Tatsächlich ist das Glasblasen nur ein kleiner Schritt im Prozess des Glasmachens. Er gibt dem Glas zwar seine Form, aber entscheidend ist das kontinuierliche Drehen der Pfeife. So auch jetzt, als ich meine Lippen an der Pfeife ansetze und kräftig puste. Wie beim Aufblasen eines Luftballons ist der Anfang das Schwerste, hat mir Sabine vorher erklärt. Ich gebe also kräftig Gas, puste und puste – und tatsächlich entsteht im Glas eine kleine Blase. Das sehe ich aber gar nicht, deshalb übernimmt Sabine die Anweisungen. „Weiter! … langsam, langsam, stopp!“, sagt sie. Puh, das wäre geschafft! Das Glas hat jetzt eine runde Form. Noch aber ist die Kugel klein, und ein bisschen mehr Farbe fehlt auch noch. Also tauche ich die Pfeife nochmals in die heiße Glasmasse und hole mir eine weitere Schicht Glas. „Das sind jetzt aber keine 15 Minuten mehr, oder?“, frage ich Sabine, während mir die Schweißperlen von der Stirn tropfen. Sie lacht: „Nein, Anfänger brauchen für eine Glaskugel eine Stunde“, sagt sie. Mir wird direkt noch ein bisschen wärmer, und ich übergebe die Pfeife kurz an die Expertin, um einen Schluck Wasser zu trinken.

Birte pustet und im Glas entsteht eine kleine Blase

Frisch gestärkt geht es in den Endspurt: noch einmal Farbe aufnehmen, das Glas zurück in den Ofen, dann mit dem Holzlöffel die Form nachziehen. Dieses Mal nehme ich zusätzlich eine mehrfach gefaltete, wassergetränkte Zeitung zur Hand, um das flüssige Glas von außen zu formen. Und noch eine dritte Runde. Dann kommt die Zange zum Einsatz: Die Spitzen drücke ich vorsichtig ins Glas und drehe leicht. So entstehen Zwirbel, die nach dem Auskühlen ein tolles Muster ergeben. Nach mehreren Wiederholungen von Aufwärmen, Formen und Blasen ist die Kugel schon richtig groß geworden.

Nun ziehe ich mit dem Jacks, einem Metallwerkzeug, eine Linie und schiebe die Zange über das rohe Glas – genau an der Spitze der Pfeife, wo das Glas später abbrechen soll. Ich drücke fest zu, während ich die Pfeife weiter drehe. „So entsteht die Sollbruchstelle“, erklärt Sabine. Gleich ist es also geschafft: Meine erste eigene Glaskugel – ach, was sage ich –, mein liebstes und einziges Deko-Element, ist fertig!

Oder doch nicht? Die Kugel an der Spitze der Pfeife ist jetzt groß und auch schwer zu tragen. Sabine nimmt sie mir ab, denn jetzt muss alles ganz schnell gehen. Die Kugel wird über ein Bett aus Vermiculate, einem feuerfesten Material, gehalten, und Sabine schlägt gekonnt gegen die Pfeife. Es gibt einen Knall, und das Glas bricht – aber nur dort, wo es soll. Die Kugel kommt nun schnell wieder in den Ofen.

Autorin Birte Schmidt formt mithilfe von mehrfach gefaltetem, wassergetränktem Zeitungspapier das flüssige Glas von Außen

Schon wieder? Ja, genau, und zwar in den Kühlofen. Mit 520 Grad macht der seinem Namen zwar nicht gerade alle Ehre. Ist aber notwendig, damit das Glas in den kommenden 30 Stunden langsam abkühlen kann.

Bis ich meine Glaskugel bekomme, vergehen also noch zwei Tage. Schade, ich muss mich also gedulden. Ich hatte gehofft, sie direkt mit nach Hause nehmen zu können.

Schnitt. 48 Stunden später stehe ich wieder bei Sabine in der Werkstatt. Doch heute wird es weniger schweißtreibend. Sabine zeigt mir meine vollendete Kugel – und ich bin ziemlich stolz. Gut sieht sie aus, bläulich schimmernd, einfach perfekt. Meine erste eigene Glaskugel. Die ich jetzt noch schleifen muss. Dafür wirft Sabine die Schleifmaschine an, und ich presse die Kugel mit der Schnittstelle nach unten darauf. Das ist leicht. Und wieder meditativ. Sabine hatte schon recht, Glasmachen entspannt.

Autorin Birte Schmidt betrachtet die Glaskugel, die sie selbst hergestellt hat

Zu Hause bekommt die Kugel natürlich einen Ehrenplatz: auf meiner Terrasse im frühlingshaften Sonnenschein. Und sollte ich jemals wieder meinen Hausstand auflösen, dann weiß ich schon jetzt: Diese Deko bleibt! Denn schließlich erzählt sie eine Geschichte: wie ich meine erste eigene Glaskugel gemacht habe.

Text: Birte Schmidt | Fotos: Lucas Wahl