Unaufhaltsam rattert der gelbe Bob dem Abgrund entgegen. Tack, tack, tacktacktack macht er, erst langsam, dann immer schneller, bis sich der Glasfaser-Schlitten auf seinen Schienen in die Tiefe stürzt. Herzwummern, spitze Schreie. Dann, an der tiefsten Stelle der Strecke, klettert der Bob wieder bergauf, kurz darauf noch mal bergab. Überstanden! Aussteigen, mit breitem Grinsen, dann Platz machen für die nächsten Passagiere. Zwei steigen ein in den Bob, zwei weitere schieben das Gefährt wieder bis ganz nach oben. Denn den Nervenkitzel, den Rausch, das Kribbeln im Bauch – im Parco Giochi von Bruno Ferrin im nördlichen venezianischen Hinterland muss man sich das Vergnügen erst mit eigener Muskelarbeit verdienen.

Eine Frau fährt in einer selbstgebauten Achterbahn; Kinder fahren mit der selbstgebauten Achterbahn und Bruno Ferrin kontrolliert durchs Dickicht;
Quer durch das bewaldete venezianische Hinterland führen die selbst gebauten Achterbahnen

Der vielleicht ungewöhnlichste Vergnügungspark der Welt besteht aus rund 40 Fahrgeräten – alle selbst erdacht und eigenhändig gebaut. Gerade steht Bruno vor seiner größten Attraktion, er legt den Kopf in den Nacken, inspiziert mit kritischem Blick die 30 Meter hohe Stahl- und Eisenkonstruktion. „Das Pendel“ wird als einziges Gerät im Park von einem Motor angetrieben.

Das Rad des Todes im Freizeitpark von Bruno Ferrin;
„Das Rad des Todes“. Wer sich hier in den Käfig wagt, muss ordentlich treten. Ziel: Der Überschg

Bruno Ferrin lässt den Blick über die wirbelnden Fahrgeräte und die strahlenden Besucher schweifen. Er breitet die Arme aus und sagt: „All diese Leute, die sind frei. Die freuen sich, darum geht’s mir.“ Das klingt fast schon ein bisschen kindlich, naiv. Na und? Man darf Bruno gerne glauben, dass es ihm einzig und allein um die Freude seiner Gäste geht. Eintritt? Pah, davon will er nichts wissen. Seinen Park kann jeder kostenlos besuchen, ein wenig Geld verdient Bruno nur mit der Osteria, die am Eingang des Geländes günstig Kaffee, Wein, Panini und Polenta verkauft. 30 Prozent vom Osteria-Gewinn fließen direkt zurück in den Park, in neues Baumaterial und weitere Werkzeuge.

Seit 40 Jahren bastelt, bohrt, sägt und schweißt Bruno schon an seinem Parco Giochi. Fast täglich streift er über das drei Hektar große Gelände, er hält die Attraktionen in Schuss, zieht Schrauben fest, schneidet Bäume zurück. Und erfindet immer wieder neue Fahrgeräte. Entstanden ist eine bizarre Fantasiewelt, ein Abenteuerspielplatz der Superlative. Wie die Skelette urzeitlicher Giganten stehen Brunos Konstruktionen zwischen den Linden und Ahornbäumen.

Bruno Ferrin

„Mein Palast“, so nennt Bruno seine Werkstatt, die in einem Schuppen gleich neben seiner Osteria untergebracht ist. Zangen, Schraubzwingen und Hämmer liegen verstreut auf einem Tisch aus abgewetzten Spanplatten. An der Wand lauter Drahtbürsten und Winkel, auf dem Boden winden sich Kabel, liegt und steht ein Arsenal weiterer Werkzeuge. Hier baut Bruno die kleineren Fahrgeräte. Aber woher kommen eigentlich die Ideen dazu? „Die Inspiration kommt immer von oben“, sagt Bruno, „ich sehe, wie ein Zweig fällt, wie ein Blatt zu Boden segelt. Wie ein Vogel fliegt, ein Stein rollt. Aus solchen Beobachtungen werden meine Projekte geboren.“

Wenn Funken fliegen, ist der 79 jährige Bruno Ferrin in seinem Element

Sobald Bruno ein nächstes Gerät wie ein Bild vor seinem geistigen Auge sieht, legt er los. Oder bespricht sich bei den größeren, manchmal fast gigantischen Konstruktionen zunächst mit Roberto Scandiuzzi, seinem Ingenieur. „Ich berechne nichts, ich weiß einfach nur, wie es werden muss“, sagt Bruno. „Das geht nicht, das kann gar nicht funktionieren“, sagt Roberto dann manchmal, nachdem er viel gezeichnet und gerechnet hat. „Doch, doch, das geht“, antwortet Bruno dann stets. Und irgendwann, irgendwie geht es dann auch. Sobald Roberto seinen Segen gibt, macht sich Bruno an die Arbeit. Mit vier Helfern bastelt er an neuen Geräten, so wie jetzt am Katapult – eine lange Bahn, auf der ein eiserner Wagen von einer Feder rasant nach vorn geschleudert wird.

Bruno und Francesco inspizieren das Katapult im selbstgebauten Freizeitpark;
Sitzt, wackelt nicht, hat Luft? Bruno und Francesco inspizieren das Katapult.

Wenn die mehr als tausend Besucher, die pro Tag kommen, auf ihrem Heimweg sind, gehört der ganze Park wieder Bruno allein. Er lauscht den singenden Vögeln, dem Rascheln der Blätter in den Baumkronen. Er läuft die gesamte Länge der Katapult-Bahn ab, streicht dabei andächtig über das blanke, noch zu lackierende Metall. „Ich habe das alles erschaffen“, sagt Bruno. Und klingt dabei, als könne er es selbst kaum glauben.

Bruno Ferrin auf einer Rutsche in seinem selbstgebauten Freizeitpark;
Bruno Ferrin, 79 Jahre alt, funkelnde Augen und schlohweiße Haare

Text: Anja Reumschüssel | Fotos: Oliver Soulas