Von einem, der vom Machen nicht genug bekommt
Olle Åhnström ist 101 Jahre alt und kann einfach nicht aufhören mit dem Schrauben, Schleifen und Tüfteln. Über ein wahres Macherleben.
Eine Garage in Huddinge, einem Vorort von Stockholm. Die Luft schmeckt nach Staub und Benzin. Werkzeug hängt an den Wänden. Eingestaubte Kisten stapeln sich bis unter die Decke. Zwischen Technikkram und Trödel sind historische Motorräder und ein Oldtimer geparkt. Wie das alte Fett in Omas Kuchenform haftet über allem eine Patina aus Schmierölresten.
Willkommen in der Werkstatt von Olle Åhnström. Willkommen im Reich des Mechaniker-Methusalem. Olle ist 101 Jahre alt. Seit mehr als 70 Jahren tüftelt der Schwede in seiner Garage. Mal an Vintage-Motorrädern aus den 30er- Jahren. Oder an einem originalen Ford Sedan, dem Lieblingsauto von Al Capone. Mal schleift er den Rost vom Treppengeländer im Garten. Dann poliert er die Gugelhupfform seiner Frau Märta.
„Die Werkstatt ist mein Fitnessstudio“, sagt Olle. Seit einem Jahr lebt er im Pflegeheim, doch zweimal im Monat holt ihn Tochter Barbro ab und fährt ihn zu seiner Garage. Und lässt ihn in Ruhe ein paar Stunden werkeln. So wie heute.
Wäre Olles Frau Märta nicht vor einem Jahr gestorben, er würde wohl weiter mit ihr ein Stockwerk höher leben. Auch wenn die Ohren ab und an ihren Dienst versagen, der linke Arm etwas hakt und es im linken Bein zwickt: Olle wirkt bewundernswert fit für sein Alter. Aber nicht immer hat Olle die Kraft, die schweren Bikes oder andere Maschinen zu bewegen. Wenn er zu lange an der Werkbank gestanden hat, macht er Pause im Rollstuhl. Und lässt einfach die Aura des Ortes, seine heilige Halle, auf sich wirken.
Heute ist er allerdings voller Tatendrang. Und greift gleich nach dem Werkzeug, das er am meisten schätzt: eine Schleifmaschine. Metall splittert, Funken fliegen und verglühen im Staub der Werkstatt. Olle poliert eine Kupferpfanne seiner Frau Märta. Nicht weil damit noch gekocht würde:
Gutes Training für die Finger, das hält sie flexibel.“
Olle Åhnström
Olle schaltet die Schleifmaschine ab und deutet auf das Vorderrad seines liebsten Motorrads: eine JAP, Baujahr 1935, mit 350er-Rennsportmotor. Die englische Marke war in den 20er-Jahren einer der größten Hersteller für Motoren. Rund 28 Millimeter lange Spikes hat er in die Räder gedreht. Sind sie noch fest? Mit einem kräftigen Ruck zieht er an dem Rad, rutscht blöd ab – schon läuft eine Blutspur über einen Finger. Doch Olle flucht nicht, bleibt ganz gelassen, wischt sich die Hand an einem Taschentuch ab. „Nicht meine erste Wunde an der Hand“, sagt er. Und scherzt: „Mein Werkzeug ist nicht kaputtzukriegen – so wie ich.“
Mit der alten Kiste verbindet Olle einige der schönsten Erinnerungen seines Lebens. Zum letzten Mal ließ er das Motorrad vor drei Jahren aufheulen. Da fuhr er mit 98 Jahren bei der schwedischen Speedway Championship vor dem offiziellen Wettkampf vier Ehrenrunden. „Das muss ein Weltrekord gewesen sein. Ich kenne niemanden, der in dem Alter noch gefahren ist“, erzählt Olle.
Speedway Racing
Speedway ist ein populärer Wintersport in Skandinavien. Entstanden, weil ein paar übermütige Männer meinten, auf einem zugefrorenen See noch mehr anstellen zu können, als nur Eishockey zu spielen. Oder auf Schlittschuhen romantische Heiratsanträge zu machen. Also fetzten sie in ihren Kisten übers Eis und tunten ihre Öfen zu perfekten Rennmaschinen – für eine Jahreszeit, in der das Motorrad eigentlich in der Garage bleibt.
Beim Speedway gibt es nur Vollgas oder Halbgas, keine Bremsen. Gestoppt wird mit einem Zündunterbrecher, den der Fahrer über eine Schnur am Lenker steuert.
An den Wänden hängen Erinnerungen an Olles Triumphe im Motorsport: ein Leibchen, bedruckt mit Hammer und Sichel, von Wettkämpfen in der Sowjetunion, auch angestaubte Pokale und Trophäen. Eine Goldmedaille von der Eis-Speedway-WM 1970. Ein Foto von Olle als junger Mann: Schmalz im Haar, Halbstarkenlächeln – ein Easy Rider der Nachkriegsära. Ein Bild, wie sich Olle mit 70 Stundenkilometern so tief in eine Kurve legt, dass seine Knieschoner die Schneedecke rasieren.
„So ein Rennen noch mal fahren“, träumt Olle laut, „noch mal auf dem Bike sitzen, das wär’s!“ Dafür trainiert er, unter anderem auf einem Fitnessrad. „Drück mir die Daumen, dass es klappt!“
Einige Kumpels erlitten bei Speedway-Rennen schwere Unfälle: „Ich hatte Glück, kam immer glimpflich davon“, sagt Olle. Nur einmal verletzte er sich nach einem Zusammenstoß an der Schulter. „Die Ärzte reparierten mich im Krankenhaus. Und ich reparierte danach mein Motorrad in meiner Garage. Am Ende war ich wie neu. Und das Motorrad auch“, sagt Olle – und grinst wieder auf seine Lausbubenart. Olle arbeitete fast sein gesamtes Leben als Lkw-Mechaniker. Das wenige Geld, das er nicht zum Leben brauchte, steckte er in seine Schrauberprojekte.
Jetzt zerrt er an einer Plastikplane – und noch ein Relikt kommt zum Vorschein: ein feuerroter Ford Sedan, Baujahr 1936. Ein Druck auf den Startknopf, und zack: Schon knattert der Motor – wie ein Echo aus der Zeit der Technikpioniere. „Den habe ich auf dem Schrottplatz gefunden und wieder flottgemacht. Gar nicht lange her, dass ich damit meine Ururenkel spazieren gefahren habe“, sagt Olle.
Olle öffnet die Motorhaube, fährt mit seinen rauen Mechanikerfingern über die Düsen, Schrauben und Scharniere des Achtzylinders, als würde er eine vertraute Landschaft abtasten: „Hier muss ich mal wieder den Ölstand prüfen, die Ventile gehören durchgepustet, und die Muttern vom Schwiegermuttersitz, das ist der ausklappbare Rücksitz hier, muss ich auch mal wieder festziehen.“
Aber das will Olle ein andermal machen, noch lieber will er das Projekt zeigen, auf das er besonders stolz ist. Er geht nach draußen in den Garten und zeigt auf sein Landhaus: „Das habe ich fast allein gebaut. Auch den Swimmingpool. Das war damals eine Sensation, die gesamte Nachbarschaft kam zum Baden.“ Mitten in den Kriegsjahren setzte er den ersten Spatenstich. „Die Baustoffe waren damals knapp. Ich musste lernen zu improvisieren.“
Nur vier Jahre besuchte Olle die Schule. Statt eine Ausbildung zu machen, arbeitete er als Laufbursche für einen Blumenhändler. Dann eröffnete in der Gegend ein Werk von General Motors, und Olle bekam eine Stelle bei der Qualitätskontrolle. So entdeckte er seine Liebe fürs Schrauben. Als sich Sohn Lars ankündigte, fuhr er seine hochschwangere Frau Märta auf dem Fahrrad ins Krankenhaus. Das Rad hatte er zuvor aus Ersatzteilen zusammengeschraubt.
Olle war 22, als er seine Frau Märta bei einem Sommerfest kennenlernte. Sie war 19, als sie sich verlobten. Weil sie so jung war, musste Olle vor einer Kommission der Kirchengemeinde die Heiratserlaubnis einholen. Er überzeugte die Sittenwächter von seiner Rechtschaffenheit, indem er seine Hände zeigte: voller Schrammen und Schwielen. Einer mit solchen Händen muss ein fleißiger Mann sein. Der kann für seine Frau sorgen, urteilte die Kommission – und gab dem jungen Glück den Segen. Man könnte sogar so weit gehen und sagen: Auch Ehe und Familie hat sich Olle zusammengeschraubt.
„In meinem ganzen Leben war mir nie langweilig. Ich hatte immer was zu tun. Auch als Rentner. Das bin ich ja schon seit mehr als 35 Jahren. Vielleicht ist das mein Geheimnis zum Altwerden“, sagt Olle.
Fast schon wieder Zeit, der Werkstatt Adieu zu sagen. Dabei wollte er noch den Motor einer Husqvarna reparieren. Er will einige seiner acht alten Kisten verkaufen und die Werkstatt entrümpeln. Wie immer geht die Zeit in der Garage zu schnell vorbei.
Im Heim werden sie gleich die Fika, das schwedische Kaffeekränzchen, servieren. Das will Olle nicht verpassen. Er schaut jetzt ein wenig müde, aber freundlich und verschmitzt. Wie es seine Art ist. Und schon immer war. Bis zum nächsten Mal, alter Schwede!
Text: Reinhard Keck I Fotos: Joachim Lundgren