Wahnsinn auf zwei Rädern
Jedes Jahr fahren die Männer des Ifugao-Stammes auf den Philippinen auf selbst gebauten Holzrollern um die Wette. Vor dem Sturz schützt sie nur ihr Können – und ihre Baukunst.
Auf selbstgebauten Holzrollern halbnackt eine Straße herunterzurasen und als Lenkrad den Schädel eines toten Wasserbüffels zu verwenden. Jose Campol sieht darin nichts Ungewöhnliches. „Das ist nicht verrückt, das ist hier eben so“, murmelt er. Mit „hier“ meint er Banaue, eine Kleinstadt im Norden der Philippinen.
Jose, 59, ist tief in seine Arbeit versunken. Er feilt an dem Wasserbüffel-Schädel. Ein paar Ecken müssen weg, damit er ihn später besser am Roller befestigen kann. Wenn er sich konzentriert, werden seine von Falten eingekreisten Augen noch ein bisschen kleiner.
Nur die Hühner lenken ihn von der Arbeit ab, wenn sie wieder einmal auf seinen Roller flattern. Hühnerstall und Werkstatt sind bei Jose praktisch ein und dasselbe. Beides liegt direkt vor seiner Haustür, unter einem kleinen Holzverschlag.
Viel Zeit bleibt Jose nicht mehr. Übermorgen ist schon das Rennen, und nachher kommt auch noch ein toter Verwandter vorbei. Beim Stamm der Ifugao ist es Brauch, verstorbene Verwandte tagelang von Haus zu Haus zu tragen und dort kleine Abschiedsfeste zu feiern. Dafür muss Jose gleich noch ein Schwein zerlegen. Aber der Roller ist mindestens genauso wichtig.
Dass ich diese Roller baue und an den Rennen teilnehme, erfüllt mich mit Stolz.“
Jose Campol
Für den Besucher erscheint das alles fremd. Aber so ist die Tradition in Banaue, etwa 1500 Meter über dem Meeresspiegel. Der Nachtbus quält sich stundenlang über enge Serpentinen die Berge hinauf. Morgens steigen die Fahrgäste in einer anderen Welt aus.
Banaue ist wunderschön, umgeben von den weltberühmten Reisterrassen und Häusern, die wie Felsvorsprünge ins Tal ragen, aber es ist ein bisschen verrückt. Und vielleicht ist er, Jose, der Verrückteste. Er war einer der Ersten, der mit dem Wahnsinn begann, die Holzroller zu bauen. Inspiriert von einem Missionar, der vor Jahrzehnten zum ersten Mal mit einem echten Motorroller die Serpentinen hinauffuhr.
Jedes Jahr Ende April feiern die Ifugao das sogenannte Imbayah-Festival. Die Dorfbewohner tanzen auf den Straßen, sie treten im Tauziehen gegeneinander an und wählen „Mister und Miss Imbayah“. Aber der Höhepunkt des Festivals ist das Rennen mit den selbst gebauten Rollern, das Banaue auf den Philippinen mittlerweile berühmt gemacht hat. „Dass ich diese Roller baue und an den Rennen teilnehme, erfüllt mich mit Stolz“, sagt Jose.
Eigentlich ist Jose Bauer. Aber mit seinen kleinen Reisterrassen allein kann er seine Familie nicht ernähren. Die Schule besuchte er nur bis zur dritten Klasse. Dann lehrte ihn sein Vater das Tischlern und der hatte es bereits von Joses Großvater gelernt.
Die Roller sind ein wichtiger Nebenerwerb für ihn: Er verkauft sie nach dem Festival an Touristen, umgerechnet rund 200 Euro zahlen sie dafür – ein Vermögen in Banaue. Auch deswegen werden die Gefährte immer ausgefallener. Es gab schon einen, der aussah wie eine Raubkatze.
Lenken mit dem Wasserbüffel
Für dieses Jahr hat sich Jose etwas Besonderes ausgedacht. Keinen normalen Ast will er als Rumpf verwenden, sondern eine Wurzel. Wochenlang suchte er beim Holzsammeln nach einem passenden Brocken. Möglichst viele Verästelungen sollte er haben. Doch die Krönung dieses Rollers wird Arador. Arador war einst der Wasserbüffel des Familienclans. Das Tier arbeitete hart, ohne zu murren zog es den Pflug. Doch vor ein paar Monaten fiel Arador tot um. Altersschwäche. Jose will Arador nun die letzte Ehre erweisen – und macht ihn zum Steuer des Rollers.
Alles ist echte Handarbeit: Nur mit Säge, Hammer und Stechbeitel bearbeitet er das Holz, elektrische Geräte wie Schleifmaschinen kann er sich gar nicht leisten. Etwa zwei Tage benötigt er für einen Roller. Dutzende hat er schon gebaut, er weiß nicht mehr, wie viele genau. Aber jeder war ein bisschen anders: In einem Lager hängt noch ein ganz einfaches Modell, ohne Schnörkel, er sieht aus wie großer Tretroller für Kinder.
In andere Roller hat er schon Drachen und Pumas geschnitzt, er macht das je nach Zeit und Lust. Von den schönsten hat er Fotos in seiner Wohnung aufgehängt. „Ich mag es, wenn das, was erst nur in meinem Kopf war, Wirklichkeit wird“, sagt er.
Als Hinterrad verwendet er dieses Mal eine mit Gummi überzogene Scheibe eines Baumstamms, Metallachsen verbinden es mit dem Rumpf. Vorne verbaut Jose das alte Rad einer kaputten Schubkarre. Früher war Metall verboten, aber die Achsen aus Holz brachen zu oft.
Tour de France à la Familie Feuerstein
Auch wenn er schon Dutzende Male gefahren ist: Am Tag des Rennens ist er trotzdem noch aufgeregt. Er kramt sein traditionelles Ifugao-Outfit hervor. Wegen der Motten ist es in Plastiktüte verpackt, er trägt es nur zu besonderen Anlassen. Ein blauer Lastwagen holt seinen Roller ab, er selbst lässt sich auf dem Rücksitz eines Motorrads hochfahren.
Oben schlüpft er in sein Gewand. Dann geht es auch schon los. Polizisten schirmen das Feld ab, Journalisten folgen auf Motorrädern. Der Tross sieht aus, als würde man die Tour de France in einem Familie-Feuerstein-Film zeigen. Die Zuschauer klatschen begeistert, Jose lässt sich ins Tal rollen, im Gesicht ein zufriedenes Lächeln.
Die Rennen sind in den vergangenen Jahren ruhiger geworden. Mittlerweile ist die fünf Kilometer lange Abfahrt eher eine Parade. Jose kennt noch die wilden Jahre, damals war die Straße nicht einmal geteert. Mehrere Dorfbewohner brachen sich die Knochen.
Doch die Zeiten sind vorbei, für den schon älteren Jose sowieso. Er lässt sich schnell ans Ende des Feldes zurückfallen. Andere der rund zwei Dutzend Fahrer sind draufgängerischer. Einer der Fahrer verliert die Balance und verletzt sich am Knöchel. Er fährt trotzdem bis runter ans Ziel.
Früher brauchten die Fahrer nur rund sieben Minuten für die Strecke, heute etwa doppelt so lange. Je weiter sie ins Tal kommen, desto mehr Zuschauer stehen am Straßenrand. Auch das Klatschen wird lauter, im Ziel werden sie wie Helden mit tosendem Applaus und Jubel empfangen.
Und Jose? Kommt als einer der Letzten an. Am Ziel posiert er noch kurz vor Touristen mit seinem Roller. Leider findet er keinen Käufer, aber er wird sein Werk einfach vor seinem Haus aufstellen. Und er hat noch eine Botschaft nach Europa: Wenn ein Tischler nach Banaue kommt, dann solle der doch bitte nach Jose Campol fragen und ihn besuchen. Er würde gerne mit ihm fachsimpeln. „Vielleicht kann er mir helfen, meine Roller noch besser zu machen.“
Text: Frederic Spohr | Fotos: Hannah Reyes Morales
Lass rollen!
Das Imbayah-Festival findet seit 2015 jährlich statt. Wer beim nächsten Holzroller-Rennen live dabei sein möchte, sollte sich also jetzt schon mal Ende April vormerken.