Wahnsinn auf zwei Rädern
Jedes Jahr fahren die Männer des Ifugao-Stammes auf den Philippinen auf selbst gebauten Holzrollern um die Wette. Vor dem Sturz schützt sie nur ihr Können – und ihre Baukunst.
Viel Zeit bleibt Jose nicht mehr. Übermorgen ist schon das Rennen, und nachher kommt auch noch ein toter Verwandter vorbei. Beim Stamm der Ifugao ist es Brauch, verstorbene Verwandte tagelang von Haus zu Haus zu tragen und dort kleine Abschiedsfeste zu feiern. Dafür muss Jose gleich noch ein Schwein zerlegen. Aber der Roller ist mindestens genauso wichtig.
Jose Campol
Für den Besucher erscheint das alles fremd. Aber so ist die Tradition in Banaue, etwa 1500 Meter über dem Meeresspiegel. Der Nachtbus quält sich stundenlang über enge Serpentinen die Berge hinauf. Morgens steigen die Fahrgäste in einer anderen Welt aus.
Banaue ist wunderschön, umgeben von den weltberühmten Reisterrassen und Häusern, die wie Felsvorsprünge ins Tal ragen, aber es ist ein bisschen verrückt. Und vielleicht ist er, Jose, der Verrückteste. Er war einer der Ersten, der mit dem Wahnsinn begann, die Holzroller zu bauen. Inspiriert von einem Missionar, der vor Jahrzehnten zum ersten Mal mit einem echten Motorroller die Serpentinen hinauffuhr.
Auch wenn er schon Dutzende Male gefahren ist: Am Tag des Rennens ist er trotzdem noch aufgeregt. Er kramt sein traditionelles Ifugao-Outfit hervor. Wegen der Motten ist es in Plastiktüte verpackt, er trägt es nur zu besonderen Anlassen. Ein blauer Lastwagen holt seinen Roller ab, er selbst lässt sich auf dem Rücksitz eines Motorrads hochfahren.
Oben schlüpft er in sein Gewand. Dann geht es auch schon los. Polizisten schirmen das Feld ab, Journalisten folgen auf Motorrädern. Der Tross sieht aus, als würde man die Tour de France in einem Familie-Feuerstein-Film zeigen. Die Zuschauer klatschen begeistert, Jose lässt sich ins Tal rollen, im Gesicht ein zufriedenes Lächeln.
Die Rennen sind in den vergangenen Jahren ruhiger geworden. Mittlerweile ist die fünf Kilometer lange Abfahrt eher eine Parade. Jose kennt noch die wilden Jahre, damals war die Straße nicht einmal geteert. Mehrere Dorfbewohner brachen sich die Knochen.
Doch die Zeiten sind vorbei, für den schon älteren Jose sowieso. Er lässt sich schnell ans Ende des Feldes zurückfallen. Andere der rund zwei Dutzend Fahrer sind draufgängerischer. Einer der Fahrer verliert die Balance und verletzt sich am Knöchel. Er fährt trotzdem bis runter ans Ziel.
Früher brauchten die Fahrer nur rund sieben Minuten für die Strecke, heute etwa doppelt so lange. Je weiter sie ins Tal kommen, desto mehr Zuschauer stehen am Straßenrand. Auch das Klatschen wird lauter, im Ziel werden sie wie Helden mit tosendem Applaus und Jubel empfangen.
Und Jose? Kommt als einer der Letzten an. Am Ziel posiert er noch kurz vor Touristen mit seinem Roller. Leider findet er keinen Käufer, aber er wird sein Werk einfach vor seinem Haus aufstellen. Und er hat noch eine Botschaft nach Europa: Wenn ein Tischler nach Banaue kommt, dann solle der doch bitte nach Jose Campol fragen und ihn besuchen. Er würde gerne mit ihm fachsimpeln. „Vielleicht kann er mir helfen, meine Roller noch besser zu machen.“
Text: Frederic Spohr | Fotos: Hannah Reyes Morales
Lass rollen!
Das Imbayah-Festival findet seit 2015 jährlich statt. Wer beim nächsten Holzroller-Rennen live dabei sein möchte, sollte sich also jetzt schon mal Ende April vormerken.