2015 haben sich im Pariser Klimaabkommen fast alle Staaten der Erde darauf verständigt, die Erderwärmung auf höchstens 1,5 Grad zu begrenzen. Bis 2050 soll erreicht werden, dass der Ausstoß aller Treibhausgase, dazu gehören u. a. CO2, Methan oder Lachgas, möglichst auf Netto-Null reduziert wird.
Seitdem haben sich viele der beteiligten Staaten konkrete Ziele gesetzt und Reduktionsstrategien erarbeitet. So will Deutschland bis 2045 klimaneutral sein – die Europäische Union (EU) insgesamt strebt Klimaneutralität bis 2050 an. „Netto-Null“ oder „klimaneutral“ heißt jedoch nicht, dass gar keine klimaschädlichen Gase mehr ausgestoßen werden.
Die meisten EU-Staaten planen zwar, aus der Kohleverstromung auszusteigen, erneuerbare Energien auszubauen, die energetische Gebäudesanierung voranzutreiben und den Verkehrssektor zu großen Teilen auf Elektromobilität umzustellen – um ein paar Beispiele zu nennen – auf null reduzieren lassen sich die Emissionen dadurch jedoch nicht ganz. Die verbleibenden CO2-Emissionen müssen der Atmosphäre daher wieder entzogen werden – zum Beispiel durch das Pflanzen von Bäumen.
Der Weltklimarat geht in seinem jüngsten Bericht davon aus, dass sich Emissionen mit heute vorhandenen Technologien um mindestens 50 Prozent bis 2030 (gegenüber dem Basisjahr 1990) reduzieren lassen – vorausgesetzt, entsprechende Gesetzesinitiativen werden sofort auf den Weg gebracht.
Die EU peilt derzeit ein Reduktionsziel von 55 Prozent bis 2030 an. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen Wirtschaft und Gesellschaft in vielen Bereichen neu ausgerichtet werden. Rund eine Billion Euro sollen im Rahmen des „Green Deal“ über die nächsten zehn Jahre in Bereiche wie erneuerbare Energien, Biodiversität oder Kreislaufwirtschaft investiert werden. Gleichzeitig wurden mit der EU-Taxonomie und der Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) Gesetzesinitiativen auf den Weg gebracht, die sicherstellen sollen, dass auch private Mittel in die richtigen Kanäle, das heißt in nachhaltige und klimafreundliche Unternehmen und Technologien fließen.
Das Pariser Klimaabkommen ist ein völkerrechtlicher Vertrag, in dem sich rund 190 Staaten darauf verständigt haben, die Erderwärmung auf höchstens 1,5 Grad zu begrenzen, gerechnet vom Beginn der Industrialisierung bis zum Jahr 2100.
Der Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen (IPCC) – kurz Weltklimarat genannt – wurde 1988 vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) als zwischenstaatlicher Ausschuss ins Leben gerufen. In seinem Auftrag tragen Wissenschaftler weltweit den aktuellen Stand der Forschung zum Klimawandel zusammen.
Die EU-Taxonomie definiert anhand eines umfangreichen Kriterienkatalogs, inwieweit wirtschaftliche Aktivitäten von Unternehmen zu den insgesamt sechs von der EU benannten Klimaschutzzielen beitragen. Vorläufig sind zwei Ziele ausformuliert: CO2-Minderung und Anpassung an den Klimawandel.
Die europäische Verordnung über die Offenlegung nachhaltiger Finanzprodukte (Sustainable Finance Disclosure Regulation – SFDR) wurde eingeführt, um die Transparenz auf dem Markt für nachhaltige Anlageprodukte zu verbessern und Greenwashing zu verhindern. Sie verpflichtet Vermögensverwalter, Anlageberater und Fondsverwalter Nachhaltigkeitskriterien im Anlageprozess zu berücksichtigen und diese gegenüber den Endkunden offenzulegen.
Insbesondere für börsennotierte Unternehmen steigt seitdem der Druck von Banken, Asset Managern und anderen Investoren, Klimadaten sowie Ziele und Strategien zur Reduktion ihres CO2-Fußabdrucks offenzulegen, damit diese wiederum ihre Reportingpflichten erfüllen und nachhaltige Finanzanlagen anbieten können. Standen vor einigen Jahren noch hauptsächlich produzierende, energieintensive Unternehmen mit rauchenden Schloten am Pranger, werden damit inzwischen alle Branchen auf ihre Klima-Fitness durchleuchtet. Wer kein Netto-Null-Ziel im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen vorweisen kann, ist zunehmend nicht investierbar.
Auch in der DIY-Branche haben sich erste Unternehmen öffentlichkeitswirksam der Klimaneutralität verpflichtet. So kündigten beispielsweise der deutsche Rewe-Konzern, Muttergesellschaft von Toom Baumarkt, und die britische Kingfisher-Gruppe an, bis 2040 Netto-Null-Emissionen erreichen zu wollen. Der finnische Einzelhandelskonzern Kesko, zu dem auch die DIY-Ketten K-Rauta und K-Bygg gehören, und der australische DIY-Konzern Bunnings streben Klimaneutralität bereits für 2030 an.
Es lohnt sich allerdings, diese Klimaziele genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn: Das Netto-Null-Ziel gilt bei allen Unternehmen lediglich für den eigenen Geschäftsbetrieb, das betrifft also beispielsweise Heizung und Strom in den Filialen oder eigene Fahrzeuge. Vorgelagerte und nachgelagerte Emissionen, wie sie beispielsweise bei der Produktion und Nutzung verkaufter Produkte oder durch externe Logistikdienstleistungen entstehen, fehlen in dieser Betrachtung. Diese Emissionen, die durch das Greenhouse Gas Protocol (GHG) als „Scope 3“ definiert werden, machen allerdings im Einzelhandel den Löwenanteil des gesamten CO2-Fußabdrucks aus. Bei Kingfisher beispielsweise sind es rund 99 Prozent. Zum Vergleich: Beim Stahlproduzent Arcelor Mittal fallen weniger als 10 Prozent der Gesamt-Emissionen außerhalb des eigenen Unternehmens an.
Das GHG-Protocol ist ein internationaler Standard zur Bilanzierung von Treibhausgasen. Treibhausgasemissionen werden in drei Entstehungsbereiche, sogenannte „Scopes“ – eingeteilt. Es erfasst die Treibhausgase Kohlenstoffdioxid (CO2), Methan (CH4), Lachgas (N2O), Fluorkohlenwasserstoffen (FKW), perfluorierte Kohlenwasserstoffe (PFCs), Schwefelhexafluorid (SF6) und Stickstofftrifluorid (NF3). Zum Zweck der Bilanzierung wird die Klimawirkung der emittierten Treibhausgase einheitlich als Treibhauspotenzial der äquivalenten Masse Kohlenstoffdioxid angegeben, die über 100 Jahre in etwa gleich viel zur globalen Erwärmung beitragen würde (CO2-Äquivalent).
Scope 1: Direkte Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energien im eigenen Betrieb, z.B. Öl- und Gasheizungen, Treibstoffverbrauch eigener LKW, PKW oder Gabelstapler.
Scope 2: Indirekte Emissionen durch die Erzeugung der im Unternehmen verbrauchten Energie, im Wesentlichen Stromverbrauch für Beleuchtung und andere elektrisch betriebene Geräte.
Scope 3: Indirekte Emissionen aus der weiteren Wertschöpfungskette des Unternehmens, z.B. Emissionen aus der gesamten Lieferkette, der Produktion verkaufter Produkte, Baumaterial für die Errichtung von Einzelhandelsfilialen, Emissionen, die bei der Nutzung und Entsorgung verkaufter Produkte entstehen.
Es gibt im Wesentlichen zwei Gründe für den zögerlichen Umgang mit Scope-3-Emissionen. Erstens: Die Erhebung und Berechnung ist komplex – insbesondere bei Einzelhandelsunternehmen, die ein sehr breites Produktspektrum abdecken. Bei HORNBACH beispielsweise müsste für rund eine Million verschiedene Produkte ermittelt werden, welche Materialien mit welchem Gewichtsanteil im Produkt vorhanden sind, wieviel Emissionen bei der Verarbeitung dieser Materialien entstehen, wie oft und wie lange ein Kunde das Produkt nutzt und wie das Produkt voraussichtlich am Ende der Lebensdauer entsorgt oder recycelt wird. Zweitens: Um Scope-3-Emissionen zu reduzieren, sind Einzelhändler auf die Hilfe von Lieferanten, Dienstleistern und Endkundschaft angewiesen. Ein gewisser Einfluss ist zwar durch die Sortimentsgestaltung und die Auswahl der Lieferanten gegeben, aber erreichbare Reduktionsziele für alle Scope-3-Kategorien zu definieren, ist kaum verlässlich möglich.
Genau das verlangt aber beispielsweise die Science-Based-Targets-Initiative (SBTi). Der Zusammenschluss einer Gruppe von NGOs versucht seit einigen Jahren, Ordnung in den Zielsetzungsdschungel zu bringen. Sie gibt Unternehmen ein Rahmenwerk vor, um wissenschaftsbasierte Reduktionsziele zu definieren, die im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen stehen. Bis Ende 2021 haben sich mehr als 2000 Unternehmen aus rund 70 Ländern, die rund ein Drittel der globalen Marktkapitalisierung repräsentieren, der SBTi angeschlossen. Unternehmen, die sich SBTs setzen, müssen nicht nur langfristige Ziel zur Emissionsreduzierung definieren, sondern auch anhand von Zwischenzielen und geplanten Maßnahmen genau darlegen, wie sie diese erreichen wollen. Im Herbst 2021 wurde das Rahmenwerk zudem durch den „Net-Zero-Standard“ ergänzt. Künftig dürfen sich SBTi-Teilnehmer nur noch als klimaneutral bezeichnen, wenn sie Netto-Null-Emissionen über alle drei Scopes hinweg erreichen – und zwar hauptsächlich durch tatsächliche Reduktionen und nicht durch Ausgleichsmaßnahmen.
Es wird zunehmend klar, dass eine ernsthafte Dekarbonisierung nur mit großem Aufwand möglich ist. Allein eine prüfungssichere Kohlenstoffbilanzierung der internen und externen Emissionen einzuführen, ist ein Großprojekt. Sie ist jedoch die Basis, um überhaupt wesentliche Einsparpotenziale identifizieren zu können.
Die gute Nachricht ist: Investitionen in die Emissionsreduzierung im eigenen Geschäftsbetrieb, d.h. Scope 1 und 2, rentieren sich für Einzelhändler relativ schnell – insbesondere angesichts steigender Energiepreise. Einer Erhebung des Einzelhandelsverbands Deutschland zufolge hat der gesamte deutsche Einzelhandel seine eigenen Emissionen von 1990 bis heute bereits um mehr als die Hälfte gesenkt und damit das EU-Klimaziel schon nahezu erfüllt – im Non-Food-Bereich waren hierfür insbesondere die Umstellung auf LED-Beleuchtung sowie Optimierungen bei der Gebäudetechnik ausschlaggebend. Auch der Umstieg auf Solarenergie oder die Installation von Wärmepumpen ist in den vergangenen Jahren zunehmend attraktiv geworden. Im Vorteil sind hier vor allem Einzelhändler, die selbst Eigentümer ihrer Filialen sind und über freistehende Gebäude mit großer Dachfläche verfügen. Eine beliebte Maßnahme ist zudem der Einkauf von Grünstrom, der sich für das einzelne Unternehmen in einer deutlichen Reduktion der Scope-2-Emissionen niederschlägt, aber zunächst keine reale Einsparung darstellt.
Der im Februar 2022 eröffnete HORNBACH Bau- und Gartenmarkt in Paderborn ist der erste Standort in Deutschland, der mithilfe einer Wärmepumpe und 2000 Solarkollektoren auf dem Dach weitgehend energieneutral betrieben wird.
Der Elefant im Raum sind die Scope-3-Emissionen. Eine Reduktionsstrategie kann hier nur in Zusammenarbeit mit Lieferanten und Dienstleistern umgesetzt werden, die den CO2-Fußabdruck ihrer Produkte und Dienstleistungen transparent machen und sich ihrerseits Reduktionsziele setzen. Die einfachste Lösung ist die Aufnahme von Reduktionszielen in Lieferantenvereinbarungen. So will Kesko beispielsweise mindestens zwei Drittel seiner Lieferanten dazu verpflichten, sich ihrerseits Science Based Targets für die Emissions-Reduktion zu setzen.
Einer der engagiertesten Einzelhändler bei der Lösung des Scope-3-Problems ist vermutlich Ikea. Der schwedische Möbelhändler hat nicht nur seinen eigenen Geschäftsbetrieb auf erneuerbare Energien umgestellt, sondern hilft auch 1600 direkten Lieferanten erneuerbare Energie einzukaufen und vergibt Kredite zur Finanzierung von Solaranlagen. Der Fußabdruck des Sortiments soll darüber hinaus durch recycelte Materialien, energieeffiziente Elektroprodukte, Biokleber und emissionsarmen Stahl verbessert werden. Auch die Logistikdienstleister werden zur Elektrifizierung bzw. zum Einsatz von Biotreibstoff angehalten – unter anderem will Ikea zusammen mit anderen Unternehmen auf eine emissionsfreie Containerschifffahrt hinarbeiten.
Die Komplexität der Aufgabe bringt allerdings auch kontroverse Ideen hervor. So haben in den vergangenen Jahren immer mehr Einzelhändler „klimaneutrale Produkte“ in ihr Sortiment aufgenommen. Die beworbene Klimaneutralität wird dabei durch den Kauf von CO2-Ausgleichszertifikaten erreicht, die beispielsweise Baumpflanzaktionen im südamerikanischen Regenwald oder den Ausbau erneuerbarer Energien finanzieren. Die deutsche Wettbewerbszentrale hat im Zusammenhang mit diesen Produkten bereits mehrere Einzelhändler wegen irreführender Werbung verklagt. Stein des Anstoßes waren unter anderem klimaneutrale Plastikbeutel und Heizöl. Aus Sicht der Wettbewerbszentrale verzerre es den Wettbewerb, wenn einige Unternehmen ausschließlich relativ günstige CO₂-Zertifikate kaufen, während andere Unternehmen mit großem Aufwand ihren eigenen CO₂-Ausstoß verringern, um sich „klimaneutral“ zu nennen. Befürworter klimaneutraler Produkte halten dagegen, dass Kompensationsprojekte eine gute Lösung für Produkte sind, die durch Reduktion niemals klimaneutral werden. Außerdem können Klimaschutzprojekte dort umgesetzt werden, wo sie die größte Wirkung haben. Ein Baum in den Tropen speichert eben schneller CO2 als ein Baum auf dem eignen Parkplatz. Letztendlich sind solche Diskussionen aber wenig zielführend.
HORNBACH hat mittlerweile in allen Märkten die alten Halogen-Deckenleuchten durch neue LED-Lampen ersetzt.
HORNBACH hat im Geschäftsjahr 2021/22 erstmals den CO2-Fußabdruck im eigenen Geschäftsbetrieb (Scope 1 und 2) berechnet. Dies umfasst im Wesentlichen Emissionen aus Heizenergie, Strom und dem eigenen Fuhrpark. In den kommenden Jahren werden kontinuierlich auch Emissionen aufgenommen, die außerhalb des Unternehmens entstehen, beispielsweise bei der Herstellung und der Nutzung von verkauften Produkten, in der Logistik, durch Kundenverkehr oder Dienstreisen. Die CO2-Bilanzierung ermöglicht es, erreichte Einsparungen zu messen, bestehende Potenziale zu identifizieren und Reduktionsziele im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen zu definieren.
In der Vergangenheit wurden bereits zahlreiche Maßnahmen ergriffen, die Energieverbrauch und Emissionen reduzieren, u.a. die Einführung von Gebäudeleittechnik, die Umstellung auf LED-Beleuchtung, Optimierungen in der Logistik (Full-Truck-Load), Elektroladesäulen auf Parkplätzen oder die Installation von Solaranlagen und Wärmepumpen in neuen Märkten. Derzeit prüft HORNBACH, welche bestehenden Märkte sich für die Installation einer Photovoltaikanlage eignen und wieviel des eigenen Strombedarfs sich hiermit decken ließe. Ebenso werden potenzielle CO2-Reduktionshebel bei der Heizenergie oder im Fuhrpark betrachtet.
Auch im Sortiment finden sich immer mehr „nachhaltige“ Produkte. Mehr Klimafreundlichkeit wird z.B. durch Verpackungsreduzierung, Recyclingfähigkeit, klimaneutrale Herstellung oder umfassende Cradle-to-Cradle-Ansätze erreicht.